Marco Polo der Besessene 2
Prinzessin-Freundin Mar-Janah umgebracht und den Thron an sich gerissen hatte, um ihn dem Ilkhan Abagha zu Füßen zu legen. Wiewohl dies Seldschuken-Reich nun dem Namen nach in der Hauptstadt Erzincan von einem König Masud regiert wurde, unterstand es doch in Wirklichkeit Abaghas letztem überlebendem Sohn, dem Regenten Kaikhadu, von dessen Maragheher Hof wir gerade kamen und dessen Palastwache uns das Geleit gab. Wir Reisenden waren hier willkommen; die uns begleitenden Krieger waren es nicht.
Nun hätte man meinen sollen, daß es die Kurden -die im Laufe der Geschichte gegen jeden nichtkurdischen Herrscher rebelliert hatten, der ihnen aufgezwungen worden war -wenig kümmerte, ob nun Erzincan oder Maragheh die Hauptstadt war, von der aus sie regiert wurden, denn hier draußen, hundert oder noch mehr farsakhs von jeder dieser Städte entfernt, wurden sie eigentlich von niemandem wirklich beherrscht. Gleichwohl schienen sie die Mongolen als Tyrannen zu betrachten, die ihnen außer der Turk-Tyrannei noch aufgezwungen worden war, unter der sie ohnehin bereits stöhnten, und diese Mongolenherrschaft empfanden sie wohl als etwas, gegen das sie noch mehr Haß und Groll empfanden. Wie gut die Kurden hassen konnten, erfuhren wir, als wir eines Nachmittags bei einer abgelegenen Hütte Rast hielten, um ein Schaf für unser Abendessen zu kaufen.
Der Mann, dem die Hütte offensichtlich gehörte, saß auf der Schwelle davor und hielt die Schafpelze, in die er gehüllt war, eng um sich gezogen, als ob ihn fröstele. Mein Vater und ich und einer von unseren Mongolen ritten heran und stiegen höflich vom Pferd, doch der Schafhirt blieb unhöflich sitzen. Die Kurden hatten eine eigene Sprache, doch die meisten von ihnen sprachen auch Turki, was auch unsere mongolischen Begleiter taten. In jedem Fall ähnelte die Turk-Sprache dem Mongolischen so weit, daß ich einer Unterhaltung im allgemeinen folgen konnte. Unser Mongole fragte den Mann, ob wir ihm ein Schaf abkaufen könnten. Der immer noch sitzende Mann hielt den Blick verdrossen auf den Boden geheftet und schlug es uns ab.
»Ich finde, ich darf keinen Handel mit unseren Unterdrückern abschließen.«
Der Mongole sagte: »Kein Mensch unterdrückt Euch. Diese Ferenghi-Reisenden bitten Euch um eine Gunst und werden dafür bezahlen; und Allah gebietet, Reisenden Gastfreundschaft zu gewähren.«
Woraufhin der Schäfer nicht streitsüchtig, wohl aber resigniert sagte: »Aber ihr anderen seid Mongolen, und ihr werdet auch von dem Schaf essen.«
»Ja und? Sobald Ihr den Ferenghi das Tier verkauft habt, was kümmert es Euch da, was daraus wird?«
Schniefend und nahezu in Tränen aufgelöst, sagte der Schafhirt: »Es ist noch nicht lange her, da habe ich einem vorüberziehenden Turk einen Gefallen getan. Half ihm, seinem Pferd ein zerbrochenes Hufeisen abzunehmen und es neu zu beschlagen. Und dafür hat mich der Chiti Ayakkabi bestraft. Einen kleinen Gefallen, nur einem Turk. Estag farullah! Was wird Chiti mir erst antun, wenn ich einem Mongolen einen Gefallen erweise?«
»Jetzt kommt schon!« fuhr unsere Eskorte ihn an. »Wollt Ihr uns nun ein Schaf verkaufen?«
»Nein, das kann ich nicht.«
Woraufhin der Mongole höhnisch auf ihn herabblickte. »Du kannst dich noch nicht einmal auf deine Beine stellen, wenn du trotzt. Nun gut, feiger Kurde, du weigerst dich zu verkaufen. Würdest du dann die Freundlichkeit besitzen, aufzustehen und zu versuchen, mich daran zu hindern, daß ich mir ein Schaf
nehme?«
»Nein, das kann ich nicht. Aber ich warne Euch. Der Chiti Ayakkabi wird dafür sorgen, daß Ihr es bedauert, mich beraubt zu haben.«
Der Mongole stieß ein rauhes Lachen aus und spuckte vor dem im Staub Sitzenden aus. Dann saß er wieder auf und ritt hin, ein fettes Schaf von der unterhalb der Hütte grasenden Herde zu trennen. Ich blieb zurück und sah neugierig auf den in sich zusammengesunkenen und geschlagen aussehenden Hirten hinab. Ich wußte, daß Chiti Brigant hieß, und soviel ich wußte, hieß Ayakkabi Schuh, folglich überlegte ich, was das wohl für ein Räuber sein mochte, der sich ›Schuhbrigant‹ nannte und es sich angelegen sein ließ, einen Kurden, also einen Landsmann, zu bestrafen, der einem von denen, die sie als ihre Unterdrücker betrachteten, geholfen hatte.
Radebrechend schaffte ich es, den Mann zu fragen: »Was hat dieser Chiti Ayakkabi getan, um Euch zu bestrafen?«
Statt einer Antwort lupfte er den Saum seines Schafspelzes und ließ mich einen
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