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Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Titel: Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Espinosa
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eine Prophezeiung sich erfüllen, die sie mir vor Jahren auf einem Schiff mit Kurs auf Finnland gemacht hatte: »Eines Tages wirst du in meine leblosen Augen blicken, ohne die Trilogie deines Lebens geschaffen zu haben.« Ich fand es so entsetzlich, dass sie recht behalten würde, wie ich es mit vierzehn Jahren entsetzlich gefunden hatte, dass sie glaubte, ich würde ihrer Antwort auf meine Erwachsenenfrage nicht zuhören. Ich fand es entsetzlich, dass sie es mir auf eine so theatralische Weise gesagt hatte. Vor allem aber fand ich entsetzlich, dass ihre Augen jetzt leblos waren.
    Das Taxi hielt, wir waren angekommen.
    Ich bezahlte, ohne ein Trinkgeld zu geben. Der Assistent erwartete mich an der Eingangstür des Gebäudes. Dani hatte immer einen makellosen Teint. Keine Ahnung, wie er es schaffte, er wirkte stets taufrisch. Ich weiß, dass er mich sehr schätzte, er schenkte mir immer ein besonders strahlendes Lächeln. Normalerweise hatte er eine Palette von zwölf oder dreizehn verschiedenen Lächeln, doch heute sah er nur besorgt aus, und seine Haut hatte allen Glanz verloren. Sein Gesicht wirkte irgendwie eingefallen. Seine grünen Augen blickten mir ängstlich entgegen.
    Ich stieg aus dem Taxi, das losfuhr, kaum dass ich die Tür hatte zufallen lassen. Beinahe hätte es mich mitgerissen. Wahrscheinlich war der Taxifahrer sauer, dass ich ihm kein Trinkgeld gegeben hatte.
    »Er ist drinnen«, sagte Dani, als das Taxi weg war. »Ich weiß nicht, wie er ist, aber du sollst gleich zu ihm gehen. Alle sind ziemlich nervös.«
    »Ist er klein und grün, hat er Antennen und riesige schwarze Augen?«, scherzte ich.
    »Nein«, antwortete Dani ernst.
    Wir bestiegen einen Wagen, der uns zu den Büros fuhr. Ich war überhaupt nicht nervös. Ich dachte nur daran, dass ich das Bild über den Sex malen musste, bevor der Leichnam meiner Mutter eintraf, bevor ich in ihre leblosen Augen blicken würde. Tatsächlich hatte ich sie ja noch nicht gesehen, also war noch Zeit, meine Trilogie zu vollenden.
    Ich weiß, das klingt wahrscheinlich idiotisch. Ich war im Begriff, dem ersten Außerirdischen zu begegnen, der auf dem Planeten Erde gelandet ist, und alles, woran ich dachte, war ein komisches Bild über Sex.

7
    Ich weiß nicht, ob mir die Gabe zufiel oder ob ich auf sie stieß

I ch mochte die kurze Strecke vom Eingang zum Zentralbüro. Der Fahrer, ein sechzigjähriger, jung gebliebener Peruaner, legte immer eine CD von den Cranberries auf, sobald ich den Wagen bestieg. Dann lächelte er mir zu, dass seine beiden Goldzähne blitzten. Er hat mir einmal erzählt, dass sie seinem Vater gehörten. Als sein Vater starb, ließ er sie ihm ausreißen und sich an Stelle von zwei seiner eigenen gesunden Zähne einsetzen, die man ihm zu diesem Zweck zog.
    »Ich trage meinen Vater in mir«, sagte er und lächelte mir im Rückspiegel mit den väterlichen Goldzähnen zu.
    »Bestimmt wäre er sehr stolz auf Sie«, sagte ich.
    »Das glaube ich nicht«, antwortete er. »Das war das Einzige, was an meinem Vater leuchtete. Ansonsten bot er keinen besonders schönen Anblick, von Erleuchtung keine Rede.«
    Wir haben seine Zähne später nie wieder erwähnt, doch immer, wenn er lächelte, fühlte ich mich ihm verbunden. Ich mag Menschen, in deren Gegenwart man sich sofort wohl fühlt. So selbstverständlich, dass man gar nicht merkt, wie sie das machen. Wie bei einem dieser Geheimcodes von Microsoft, deren Schlüssel nur ihr Schöpfer kennt.
    Ein chinesisches Sprichwort, das ich sehr mag, besagt: »Mach keinen Laden auf, wenn du nicht zu lächeln verstehst.« Demnach hätte mein peruanischer Fahrer zehn Kaufhäuser aufmachen können.
    Dani war immer noch sehr nervös, seine Stirn schlug Falten. Er gab dem Peruaner ein Zeichen, worauf dessen Lächeln und die Cranberries hinter einer schwarzen Glasscheibe verschwanden.
    »Also sag schon, stimmt das, was sie in den Nachrichten bringen?« Ich hatte beschlossen, ihm zuvorzukommen.
    »Ja. Wir haben ihn da drinnen. Du sollst mit ihm sprechen, mit deiner Gabe herausfinden, ob er tatsächlich der ist, der er vorgibt zu sein«, sagte Dani, wobei er sich bemühte, das Wort »Gabe« nicht gespreizt klingen zu lassen.
    Ich dachte nach. Hoffentlich funktionierte meine Gabe überhaupt. Bis jetzt hatte sie mich zwar noch nie im Stich gelassen, aber ich war im Moment nicht ganz bei mir.
    Dani respektierte mein Schweigen fast eine halbe Minute, ehe er meine Gedanken unterbrach:
    »Hast du schon aufgehört zu

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