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Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Titel: Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Espinosa
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Fußstapfen seiner Erzeuger treten mögen?
    Ich wollte das Leben malen, aus Konzepten Bilder gestalten. Ich stellte mir eine Trilogie vor, das Leben auf drei Leinwänden. Es war keine zufällige Idee, sie kam mir beim Betrachten des Bildes Das Leben von Picasso. Es ist mein Lieblingsbild von Picasso. Ich habe es in Cleveland gesehen, wo meine Mutter ihre letzte, völlig neuartige, große Inszenierung hatte und ich drei Stunden im Museum vor diesem Meisterwerk stand. Ich habe kein anderes Bild angesehen. Mit meinen sechzehn Jahren war ich vollkommen fasziniert von dieser blauen Leinwand.
    Wovon handelt Das Leben ? Von der Liebe.
    Meine Mutter hat immer gesagt, alles künstlerisch Wertvolle handle von der Liebe. Legendäre Filme, die nicht altern, zeitlose Theaterstücke, die wieder und wieder aufgeführt werden, bis hin zu den alten Heldensagen, die über Jahrhunderte gelesen werden. Alle handeln von der Liebe oder ihrem Verlust.
    Auf dem Bild Das Leben sind vier Personengruppen dargestellt: ein Paar, das sich liebt, eines, das sich begehrt, ein Mann, der seine Geliebte verloren hat, und eine Frau mit einem Kind. Ich glaube, jede Gruppe symbolisiert eine Etappe unseres Lebens, einzelne Momente, Gefühle.
    Ich identifizierte mich damals mit dem jungen Mann, der ungewollt seine Geliebte verloren hatte. Die einsame Liebe ist immer noch Liebe, doch sie ist nicht zu vergleichen mit dem Paar, das sich liebt, dem anderen, das sich begehrt, mit der Einheit von Mutter und Kind.
    Ich fragte mich, ob der Taxifahrer wohl in jemanden verliebt war. Ob er stillschweigend jemanden begehrte, ob er in dieser Nacht Sex gehabt, Lust empfunden hatte.
    Könnten wir diese Fragen doch nur ungeniert stellen! So wie die Betrachtung jenes Bildes von Picasso einen dazu zwingt, sie für sich zu beantworten.
    Meine Mutter hat mir nie vorgeworfen, in Cleveland nicht zu ihrer Premiere gekommen zu sein. Ich erzählte ihr von Picassos Bild und von meiner Idee, eine Trilogie über das Leben zu malen. Sie hörte mir aufmerksam zu, ließ zehn Minuten verstreichen (entscheidende Fragen beantwortete sie nie vorschnell; und sie war der Meinung, es stünde wesentlich besser um die Welt, wenn alle es so handhaben würden), dann sagte sie:
    »Wenn du eine Trilogie über das Leben malen willst, sprich von Kindheit, Sex und Tod. Das ist das Leben in drei Konzepten.« Daraufhin ging sie, um ihr Nachpremierenbad zu nehmen. Wasser war ihr Element. Für sie hingen alle Gedanken und alles Schaffen essentiell davon ab, was einen umgab. Die Menschen, die davon ausgingen, dass die Luft, in der wir uns bewegen, die idealen Schaffensvoraussetzungen bot, unterlagen ihrer Meinung nach einem Irrtum. Perfekt sei dafür vielmehr das Wasser, sagte sie, viele Erfinder hätten ihre besten Ideen im Wasser gehabt. Allerdings sei auch die Verbindung von Sauerstoff und Musik bei einem Konzert nicht zu verachten oder wenn man ein Lied wieder und wieder hörte und dabei auf einen Gedankenblitz wartete. Manchmal genüge es sogar, den Geruch von verbranntem Holz in die Nase zu bekommen, um inspiriert zu werden.
    Sie selbst hat ihr Leben damit zugebracht, die perfekte Schaffensatmosphäre zu suchen. Ich dachte immer, die bestünde für sie in einem Bad nach der Premiere, bis sie mir einmal im Flugzeug sagte:
    »Ich glaube, mein Schaffensgeruch ist dein Atem, vermischt mit meinem.« Sie atmete fest aus und bedeutete mir, es ihr nachzutun. Zwei- oder dreimal atmeten wir aus und ein. »Und schon kommen die Ideen …«, sagte sie und lächelte mir zu.
    Ich fühlte mich geschmeichelt, gleichzeitig war es mir aber auch ziemlich peinlich. Für den Rest des Fluges sprach ich kein Wort mehr. Acht Stunden lang, von Montreal bis Barcelona, bemühte ich mich, so flach wie möglich zu atmen.
    Manchmal fällt es einem schwer, etwas Schönes anzunehmen.
    Der Taxifahrer wechselte den Radiosender. Statt der Musik kamen jetzt wieder Nachrichten über den Außerirdischen. Der Taxifahrer schien sie noch nicht gehört zu haben und drehte die Lautstärke auf, als könnte er auf diese Weise mehr erfahren als gesagt wurde.
    »Haben Sie das gehört?«, fragte er aufgeregt.
    »Ja.«
    »Glauben Sie das?« Er wechselte noch mehrmals den Sender. »Verdammt starkes Stück, oder? Ein Außerirdischer, was die sich alles einfallen lassen.«
    »Ja, was die sich alles einfallen lassen«, wiederholte ich in Ermangelung einer anderen Antwort.
    Die Unterhaltung verstummte wieder. Er beschleunigte. Ich glaube, meine

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