Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)
schlafen?«
Auf diesen abrupten Themenwechsel war ich nicht gefasst gewesen. Wahrscheinlich wollte er mich ablenken. Ich holte die beiden Spritzen aus meiner Hosentasche und zeigte sie ihm. Er betrachtete sie so sehnsüchtig, als handele es sich um zwei Brötchen zu Zeiten der großen Wirtschaftskrise. Vermutlich hatte er noch nie welche aus der Nähe gesehen.
»Sind die echt?«, fragte er, und sein Finger glitt sanft wie eine Katzenpfote über die Spritzen.
»Dem Preis nach ja.«
»Und warum hast du sie dir nicht gesetzt?«, fragte er, während er die Spritzen langsam seiner Haut näherte.
»Keine Ahnung, war nicht der richtige Moment.«
»Und für wen ist die andere gedacht?«, fragte er und gab sie mir schnell zurück, um nicht einem Impuls zu erliegen.
Ach ja, ich habe noch nicht gesagt, dass man für eine gekaufte Spritze immer eine geschenkt bekam. Das war kein Sonderangebot für Schlafentzugsspritzen, aber aus irgendwelchen Fabrikationsgründen konnten mit der für die Herstellung einer Spritze nötigen Dosis zwei Menschen zu schlafen aufhören. Deshalb war es, als würde man eine Spritze geschenkt bekommen.
Ich hatte versucht, es ihnen auszureden, ich wollte keine zweite, ein Preisnachlass wäre mir lieber gewesen. Aber ich hatte keinen Erfolg. Tatsächlich hatte ich noch gar nicht darüber nachgedacht, wem ich die andere geben würde.
»Willst du sie?«, fragte ich.
Ich wusste, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als nicht mehr zu schlafen. Er hatte schon zigmal davon gesprochen, aber seine Finanzen erlaubten es nicht.
»Ich könnte sie dir nicht bezahlen«, antwortete er und wurde rot, wie sonst nach einer Schmeichelei.
»Ich will sie dir nicht verkaufen, Dani, ich schenke sie dir.«
»Das kann ich nicht annehmen, tut mir leid.« Er ließ die schwarze Glasscheibe herunterfahren. »Der Chef wartet sicher am Eingang auf dich, er will dich sprechen, bevor du den Fremdling siehst.«
Er sprach das Wort »Fremdling« just in dem Augenblick aus, in dem sich die Glasscheibe ganz gesenkt hatte. Ich wusste, dass ich jetzt eigentlich nichts mehr fragen sollte, aber ich konnte nicht an mich halten.
»Ihr nennt ihn ›den Fremdling‹?«
Dani zögerte mit einer Antwort, blickte erst zum Peruaner und dann zu mir, bis er sich schließlich wohl sagte, dass nur ein geringes Risiko bestand, die Information könnte weitergegeben werden, oder dass die Information schlicht wertlos war.
»Ja, das haben sie beschlossen. Bis seine Herkunft feststeht, wird er ›der Fremdling‹ genannt.«
Der Wagen hielt. Wir waren am Zentralgebäude angekommen. Als Erstes entdeckte ich meinen Chef neben der Wagentür. Ich wartete darauf, dass Dani die Tür öffnete. Doch er blieb reglos sitzen, als sei da noch etwas, das er mir sagen wollte. Ich blickte ihn auffordernd an, doch er konnte sich nicht entschließen, und mein Chef draußen machte einen immer ungeduldigeren Eindruck. Fast legte er einen kleinen Stepptanz hin, so sehr trat er auf der Stelle.
»Ich danke dir für dein Angebot«, brachte Dani schließlich hervor und errötete erneut. »Du weißt, dass es mein größter Wunsch ist, nicht mehr zu schlafen. Gib mir zwei Stunden, um ein wenig Geld zusammenzukratzen; wenn es dir ausreichend erscheint, kaufe ich dir die zweite Spritze ab.«
Er öffnete so hastig die Tür, dass mir keine Zeit für eine Antwort blieb. Ich mochte Danis Feingefühl. Ich lächelte dem Peruaner zu und verließ sein Territorium.
»Ich glaube, der Fremdling ist ein Außerirdischer«, sagte er zum Abschied, ebenfalls lächelnd. »Viel Glück für Ihre Gabe, mal sehen, was Sie herausfinden.«
Ich hatte immer den Verdacht gehegt, dass die schwarze Glasscheibe vollkommen nutzlos war. Man hörte durch sie sogar noch den Atem des Peruaners, fraglos bekam er alles Gesagte mit. Nahm es in sich auf, durchdachte es und blickte uns dann bestens informiert an, während wir uns in dem Glauben wiegten, er habe keine Ahnung.
Aber euch ist es wahrscheinlich ziemlich egal, ob der Peruaner uns hinter der Glasscheibe zuhörte oder nicht. Ihr fragt euch vermutlich vielmehr, worin denn meine »Gabe« besteht. Was ich tue, womit ich mir mein Leben verdiene.
Das Malen war, wie ihr sicherlich schon geahnt habt, ein Hobby, aus dem ich keinen Beruf machen konnte. Ich glaube, es gibt nichts Enttäuschenderes, als sich einzugestehen, dass ein künstlerisches Talent nicht zu mehr reicht. Dass man zu denen gehört, für die Kreativität und Beruf nicht vereinbar
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