Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)
mir eine Frage auf:
»Und warum hast du nicht gewartet, bis sie auch gestorben ist, um sie wiederzutreffen? Wenn sie stirbt, kommt sie doch in dein Leben, oder?«
Er würdigte mich keines Blickes.
»Ihr den Tod wünschen, um mit ihr zu leben? Niemals.« Er schaute mich an. »Würdest du dich hier und jetzt umbringen, um zu deiner Mutter zu kommen?« Mir stockte der Atem. »Weißt du auch, ob es wirklich so sein wird? Wir haben zwar auf jedem Planeten dieselben Züge, sehen gleich aus, aber zwei Leben lang wissen wir nicht, dass der betreffende Mensch in unserem vorangegangenen Leben entscheidend für uns war.«
Da übermittelte er mir mehrere Erinnerungen auf einmal. Erinnerungen aus seinen Leben auf den sechs verschiedenen Planeten. Es war unglaublich. Sein Gesicht, sein Aussehen, seine Gestalt veränderten sich nicht, in den Erinnerungen war er immer höchstens zwölf, dreizehn Jahre alt. Glückliche und traurige Erinnerungen in unbeschreiblichen Umgebungen. Planeten von beeindruckender Schönheit. Hunderte von Bildern stürzten ohne jede Ordnung auf mich ein, ich konnte weder sagen, welche Erinnerung zu welchem Planeten gehörte, noch ausmachen, welche Emotionen stärker waren als andere. Es war eine wahre Orgie der Gefühle.
»Beeindruckend, nicht wahr? Tja, es zu leben ist noch besser.«
Da kam mir plötzlich wieder das Bild in den Sinn, das ich von dem Mädchen gesehen hatte, in dem sie als Kind mit einem Hund gespielt hatte, das aber offenbar nichts mit ihrem jetzigen Leben zu tun hatte. War es möglich, dass ich etwas von ihrem Leben auf einem früheren Planeten gesehen hatte? War das der erste Planet gewesen?
Ohne Umschweife fragte ich den Fremdling. Zum ersten Mal zögerte er mit seiner Antwort. Das machte mir Angst.
»Ich möchte diese Frage lieber nicht beantworten«, sagte er. »Außer, ihr bittet mich beide darum.« Er sah das Mädchen an. »Aber ich glaube, ihr solltet nicht wissen, welcher Art eure Beziehung in eurem Leben auf dem ersten Planeten war.«
Perplex starrten wir ihn an. Ich kannte das Mädchen vom Theater also? Hatte ich deshalb eine Erinnerung von ihr aus einem anderen Leben gesehen? Wie hatten wir zueinander gestanden? Vielleicht hatte ihr Anblick deshalb ein so starkes Gefühl in mir ausgelöst. Womöglich hatte der Fremdling bei unserer ersten Begegnung eben das gesehen.
»In dem Verhörraum hast du gesagt, sie sei wichtig in meinem Leben«, sagte ich. »Du hast meine Erinnerungen aus diesem und meinem früheren Leben gesehen und wusstest, dass sie in beiden Leben präsent war, nicht?«
Er nickte.
»Wer bin ich für ihn?«, fragte sie.
Der Fremdling lächelte.
»In diesem Leben oder in dem vorangegangenen? Welches lebst du denn jetzt? Warum willst du es beeinflussen? Es ist dein jetziges Leben, das zählt.«
Doch sie gab nicht auf.
»Du hast doch auch alle deine späteren Leben auf dein zweites hin gelebt, oder etwa nicht?«
»Weil ich darum wusste. Du hast das Glück, nichts Früheres zu wissen, also lass dein jetziges Leben auch nicht davon beeinflussen, wer du früher warst oder er, genieße es, so wie ihr seid.«
Sie sagte nichts mehr. Ich auch nicht. Beinahe zwanzig Minuten saßen wir schweigend nebeneinander, ratlos, was wir noch fragen oder glauben sollten.
Ein leichter Regen setzte ein. Er war nicht rot. Ich fühlte mich zerrissen zwischen Furcht und Leidenschaft. Sich vorzustellen, dass ich wieder bei meiner Mutter sein könnte, wenn ich mir das Leben nähme … Ziemlich verlockend für eine leidende Seele. Doch gleichzeitig zu wissen, dass dieses Mädchen mir in einem anderen Leben womöglich sehr nahe gewesen war, überwältigte mich und machte mich neugierig zugleich.
Und wie meine Mutter immer sagte, im Leben, in der Liebe und beim Sex muss man mutig sein.
Nach einundzwanzig Minuten hielten das Mädchen und ich es nicht mehr aus.
»Wer waren wir füreinander?«, fragten wir in einem Atemzug.
Der Fremdling sah uns an, als sei diese Frage ein großer Fehler gewesen, den wir für immer bereuen würden.
18
Ein Traum, der in
Erfüllung geht
D er Fremdling wusste, wie entscheidend die Antwort auf diese Frage war. Deshalb zögerte er. Und als er sich beinahe dazu durchgerungen hatte, durchzuckte plötzlich ein furchtbarer Schmerz seine Brust. Ich konnte es spüren.
»Sie ist gegangen«, sagte er.
»Wer?«, fragte ich.
»Meine Frau, sie ist gerade gestorben.«
Aus seinem Gesicht sprachen untröstliche Trauer und Verzweiflung. Ich glaube, ich habe
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