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Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Titel: Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Espinosa
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gesehen, so wenig wie uns, seine beiden Begleiter.
    »Bitte … Ich bin ein direkter Angehöriger.« Er zeigte auf das große Foto, das an einer Wand hing. Es zeigte einen einarmigen Mann, der ihm unglaublich ähnlich sah. Der Fremdling wirkte wie die jugendliche Version dieses Mannes. Die Leute erkannten die große Ähnlichkeit und sagten sich wahrscheinlich, dass dieser junge Mann ein naher Verwandter sein musste, vielleicht ein Enkel oder auch ein Urenkel … Denn so identisch ihre Gesichtszüge auch waren, wäre sicherlich niemand darauf gekommen, dass dieser so viel jüngere Fremde tatsächlich der Mann auf dem Foto war.
    Wir blieben allein im Zimmer. Der Fremdling setzte sich aufs Bett, blickte in das Gesicht der alten Frau und weinte los. Brach in Tränen aus, wie meine Mutter gesagt hätte.
    Weder das Mädchen noch ich versuchten, ihn zu trösten. Nach etwa zehn Minuten beruhigte er sich langsam und legte die Hände auf das Gesicht der Frau. Da erschien über ihr eine Art Hologramm, sonderbare dreidimensionale Planeten, so etwas wie ein GPS des Alls.
    Ich erkannte nur die Erde und den Planeten mit dem roten Regen. Die Planeten bewegten sich, und auf einem von ihnen, der Erde, war ein blinkendes Licht zu erkennen … Wie eine Seele.
    Ergriffen sahen wir zu, wie die Seele von Planet 2 zu Planet 3 überging. Es war unbeschreiblich, ich hatte keine Ahnung gehabt, dass die Gabe existierte, den Weg der Seelen mitzuverfolgen, dass Seelen blinkende Lichter waren.
    »Ich gehe mit ihr«, sagte der Fremdling und streichelte das Gesicht der alten Frau. »Auch wenn sie mich nicht wiedererkennt, ich bin sicher, dass ich sie irgendwann finden werde. Und wenn nicht, dann auf dem nächsten Planeten oder auf dem übernächsten.« Er gab der Frau einen Kuss, einen so leidenschaftlichen Kuss, dass er sie fast wiederzuerwecken schien. »Bitte geht jetzt.«
    Ganz offensichtlich war er sich seiner Sache sicher. Es fiel mir schwer, es zu akzeptieren.
    »Willst du nicht noch ein paar Tage warten?«, fragte ich.
    »Hier hält mich nichts zurück«, sagte er. »Und am selben Tag wie sie geboren zu werden wird vielleicht zum Schlüssel für unsere Wiederbegegnung.«
    Er nahm ein Blatt Papier und einen Bleistift aus der zweiten Schublade der Kommode neben dem Bett. Er griff so sicher danach, als hätte er beides selbst hineingelegt. Er notierte etwas und reichte mir das Blatt.
    »Hier steht, welcher Art eure Beziehung auf dem ersten Planeten war. Entscheidet selbst, ob ihr es lesen wollt«, sagte er. »Dafür habe ich auch eine Bitte an dich: Sollten wir uns nach deinem Tod auf dem dritten Planeten begegnen und solltest du deine Gabe noch besitzen und in meiner Erinnerung sehen, wer ich für sie und wer sie für mich war, dann sag es mir bitte sofort.«
    Ich nickte. Ganz bestimmt würde ich das tun. Sollte ich ihm in einem anderen Leben begegnen und meine Gabe noch haben, würde ich keine Sekunde zögern, ihm diese Information zu geben.
    Ich umarmte ihn, atmete noch einmal seinen Geruch ein. Das Mädchen vom Theater gab ihm einen Kuss auf die Wange. Wir gingen zur Zimmertür, und er legte sich neben die Frau ins Bett. Das rief in mir das Bild von meiner Mutter und mir in jenem Wolkenkratzerhotel hervor, auch wenn der Altersunterschied des Fremdlings und der alten Frau wesentlich größer war. Vielleicht hatte meine Mutter mich all die Jahre darauf hinerzogen, diesen Anblick als selbstverständlich ansehen zu können.
    Da merkte ich, dass der Fremdling aufhörte zu atmen, dass man ihn nicht mehr ein- und ausatmen hörte. Vielleicht hatte er das in einem anderen Leben trainiert, um schnell von einem Planeten zum nächsten zu gelangen.
    Das Bild der beiden war anrührend. Ein Traum, der in Erfüllung ging.

19
    Was hätten wir alles sein können,
wären wir nicht du und ich

I ch war völlig erschöpft. Sie offensichtlich auch. In unmittelbarer Nähe des Hauses stießen wir auf eine Pension und nahmen ein Zimmer. Etwas in uns wusste, dass wir uns nicht zu weit von dem Fremdling entfernen durften. Von dem Szenario seines Lebens.
    Das Zimmer war klein, an der Wand hingen eng nebeneinander zwei alte Landschaftsbilder. Das Bett nahm den meisten Platz ein und war himmlisch, oder zumindest kam es mir so vor.
    Ich sah aus dem Fenster, das auf den Platz hinausging. Er gefiel mir. Außerdem dämmerte es gerade. Es war wirklich eine ganz besondere Nacht.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wie ich den Anfang machen könnte. Ich war

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