Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Titel: Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Espinosa
Vom Netzwerk:
meiner Lasagne zu sitzen.
    Wieder warteten sie höflich, bis ich ihnen den Weg wies. Umsichtig geleitete ich sie die zwei Schritte auf die Terrasse hinaus. Sie waren sehr gefügige Mäuse.
    Ich habe in meinem bisherigen Leben in neun Wohnungen gelebt. Es hat mich nie gestört, umzuziehen, die einzige Bedingung war, dass die neue Terrasse immer etwas größer sein musste als die alte. Darin bestand für mich der Fortschritt: eine größere Terrasse und bessere Aussicht. Von meiner Terrasse aus sah man auf die belebte Plaza Ana, den schönsten Platz, an dem ich je gewohnt habe. Ich weiß nicht genau, was er Besonderes hat, jedenfalls verleiht das Teatro Español an der einen Seite dem gesamten Platz die Magie einer Bühne.
    Trotzdem war ich immer noch verblüfft, wie bevölkert dieser Platz um drei Uhr morgens war. Alle Läden offen, Kinder auf dem Spielplatz, kaffeetrinkende Mütter und ein Haufen Leute, die ihr REM zu sich nahmen. Das REM war das jeweils neue, frisch zubereitete Tagesgericht. Viele sagten, das REM sei die wichtigste Mahlzeit des Tages. Mag sein. Wenn man alles unter der Voraussetzung betrachtet, dass man 24 Stunden lang ununterbrochen wach ist, kann das REM vielleicht tatsächlich die zeitlich perfekte Nahrungsaufnahme sein.
    Auf meiner Uhr war es Punkt drei. Ich bin immer eine Minute zu früh dran. Wie schon gesagt, Geduld ist nicht meine Stärke. Um diese Uhrzeit sah man immer Menschen in Anzug oder Kostüm, die zur Arbeit hetzten. Um halb vier begann ein Arbeitstag.
    Dieser Platz war völlig chaotisch, aber eben deshalb die perfekt verrückte Kulisse, um ein Medikament in Empfang zu nehmen. Genauso hatte ich es mir vorgestellt.
    Ich glaube, der ältere Mann hat den Platz mit keinem Blick gewürdigt. Er stellte einfach den Koffer auf den weißen Terrassentisch.
    Ich dachte an meine Mutter und was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass ihr Tod mich zu dem Entschluss geführt hatte, mir die Anti-Schlaf-Spritze geben zu lassen.
    Es musste sich einfach etwas ändern, das Leben sollte nicht so weitergehen, als sei sie noch bei mir, und ich wollte nachts nicht davon träumen, dass sie es nicht mehr war.
    Eine Träne rann mir über die Wange. Die beiden Männer dachten bestimmt, es sei vor Rührung, weil ich gleich das Medikament bekommen würde. Ich glaube nicht, dass sie die Wahrheit verstanden hätten. Vermutlich hatten sie auch Mütter, aber auf den ersten Blick konnte man es sich nicht so recht vorstellen.
    Der ältere Mann griff in den Koffer. In wenigen Sekunden würde ich mit eigenen Augen das Ketamin sehen, die Medizin, nach der die ganze Welt seit neun Monaten verrückt war.

3
    Denken wie ein Dieb und
verstecken wie einer,
der bestohlen werden könnte

A ls die Hand des Älteren wieder aus dem Metallkoffer auftauchte, hielt sie zwei von den kleinen Spritzen, die keine Nadel haben, so dass es gar nicht pikt. Sie waren etwa so groß wie die alten USB -Sticks, die immer auf dem Schreibtisch meines Onkels lagen und die er elektronische Stifte nannte.
    Erleichtert nahm ich zur Kenntnis, dass es keine richtigen Spritzen waren. Spritzen machen mir Angst. Meine Mutter sagte immer, sie seien eine Gelegenheit, tief durchzuatmen und einen Wunsch zu formulieren, aber man kann es noch so positiv sehen wollen, gepikst zu werden ist immer scheußlich.
    Der Ältere hielt mir zwei komische Kapseln hin, doch als ich sie nehmen wollte, zog er die Hand zurück. Es war wie vorher im Flur, nur andersherum. Jetzt war er es, der bestimmte, wo es langging, und mir das Medikament nicht geben würde, ohne mir die einzelnen Schritte gewiesen zu haben.
    Er machte einen gewissenhaften Eindruck. Das sind die wahren Feinde der Ungeduldigen. Ich wollte das Zeug nur so schnell wie möglich in der Ader haben, er dagegen wollte mir fraglos jede Einzelheit erklären. Er sah mir so eindringlich in die Augen, dass ich den Blick abwenden musste.
    »Weißt du, wie es funktioniert?«, fragte er langsam und gedehnt.
    Ich mochte die Feinfühligkeit und den Ton dieses älteren Herrn. Er hatte eine sanftere Art als der Jüngere. Er wollte mein Vertrauen gewinnen. Nur wusste er nicht, dass ich schon lange kein Bedürfnis mehr nach neuen Freunden habe. Seit Jahren ist meine Kapazität für neue Bekanntschaften bei weitem überschritten.
    »Ich nehme an, man spritzt es sich, und das war’s, oder?«, antwortete ich.
    »Ja, theoretisch spritzt man es sich, und das war’s. Doch in der Praxis ist es etwas komplizierter.«
    »Was heißt

Weitere Kostenlose Bücher