Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)
wirklich herbeisehnte.
Hochzeiten, Investitionen, Küsse, Sex … Bei all diesen Gelegenheiten machen Menschen aus allen möglichen Ängsten heraus immer wieder Rückzieher. Und ich gestehe, in ebendiesem Moment wusste ich im Grunde, dass ich es nicht wollte.
Als das Ketamin aufkam, sagten viele, sie würden es niemals nehmen. Es sei doch völlig idiotisch, sich um den Schlaf, die Siesta, seine Träume zu bringen. Wenige Monate später hatten sich so viele überzeugen lassen, dass man sich entweder anschloss oder sich damit abfand, einen Teil des Lebens zu versäumen.
Manche spritzten es sich aus Eifersucht. Ja, wirklich, aus Eifersucht! Was machte der andere, während man selbst schlief? Mit wem war er zusammen, was passierte ihm, wem begegnete er, was fühlte er? Etliche, die eigentlich nicht ihr nächtliches Leben und seine phantastische Welt aufgeben wollten, fügten sich schließlich. Vom anderen aufgeweckt zu werden und zu hören, welch unglaubliche Abenteuer er um fünf Uhr morgens erlebt hat, während man selbst sich gerade mühsam aus dem Schlaf schält, verursacht ein lähmendes Gefühl, das viele veranlasste, sich doch von ihrem vertrauten nächtlichen Dasein zu verabschieden.
Ich hielt allerdings immer noch am Schlaf fest, auch wenn mir solche Überlegungen nicht fremd waren. Für mich kam der Schlaf immer einer Reise in die Zukunft gleich. Viele Menschen glauben, dass wir nie in die Zukunft reisen werden, doch ich bin der festen Überzeugung, dass wir es jede Nacht tun. Man schläft, und wenn man aufwacht, ist etwas vollkommen Unerwartetes passiert: Verträge wurden unterzeichnet, die Aktienkurse sind gestiegen oder gefallen, irgendwo auf dem Planeten, wo das Leben weitergeht, haben Menschen ihre Beziehungen beendet oder sich verliebt …
Und all diese bewegenden Ereignisse haben sich im Schlaf zugetragen. In diesen zwei Sekunden, die tatsächlich acht oder neun oder zehn Stunden dauern, je nachdem, wie viel Schlaf man gerade braucht oder was er bringt. Denn Schlafen ist nie gleich Schlafen. Richtig praktiziert ist es ein faszinierender Seufzer durch die Zeit. Deshalb war ich immer ein großer Befürworter des Schlafens und In-die-Zukunft-Reisens, und vielleicht machte es mir deshalb Angst, diese nächtlichen Höhenflüge, diese so persönlichen Momente aufzugeben.
Ich verrate euch ein Geheimnis: Manchmal, wenn ich so schnell einschlafe, dass ich es nicht einmal merke, wache ich kurz danach angsterfüllt wieder auf. Es ist, als würde mein Körper schlafen, mein Gehirn aber noch nicht. Und plötzlich schrecken beide mit einem Schlag auf und wecken tiefsitzende Ängste, die mich wieder zu einem hilflosen kleinen Jungen machen. In solchen Momenten umarme ich, wen ich gerade an meiner Seite habe, und würde all meine Liebe und allen Sex der Welt geben, damit dieser Mensch mich in seine Obhut nimmt.
Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, diese Angst zu kontrollieren, indem ich mir bewusst mache, dass ich nur geschlafen habe und jäh aufgewacht bin. So tief diese Angst auch sitzt und so brüsk sie sich einstellt, kann ich sie beherrschen, wenn ich sie schnell genug diagnostiziere. Das Sonderbare ist nur, dass ich sie in Wirklichkeit gar nicht beherrschen will, dass es mir gefällt, mich so schwach zu fühlen.
Und nun war ich also im Begriff, etwas zu tun, was ich stets abgelehnt hatte. Gerade noch hatte ich Schlafen für wichtig gehalten, obwohl zahllose Menschen inzwischen damit aufgehört hatten, doch der Tod meiner Mutter hatte diese Philosophie einfach zunichtegemacht.
Und ich wusste, dass die unmittelbaren Folgen dieses Aktes mehr Arbeit, eine neue Hypothek wären. Alle sagen, dass es das Leben umkrempelt, nicht mehr zu schlafen. Die Arbeitszeiten ändern sich, man verlebt die Zeit anders. Keine Ahnung, ich nehme an, das stimmt. Allerdings lügen die Leute sich auch viel zusammen. So gut wie niemand spricht schlecht von einer aufwendigen Reise oder einem kostspieligen Konzert. Was uns teuer zu stehen kommt, muss uns zwangsläufig gefallen, alles Gegenteilige wird verheimlicht. Niemand ist so dämlich, sich ärgern zu lassen und auch noch dafür zu bezahlen.
Ich beschloss, dass es genug der Ängste und Zeit für das Medikament war. Mit dem Blick auf den Platz führte ich die Spritze an meinen Arm.
Doch als ich das Serum beinahe schon durch meine Adern fließen spürte, passierte das Unverhoffte …
5
Stimmen wie vom Grammophon
E s passierte einfach. Ich sah sie. Auf der vollen Plaza Santa
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