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Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition)

Titel: Marcos und der Zauber des Augenblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Espinosa
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gab es nicht. Man sah einen Nachrichtensprecher im Studio und Archivbilder aus bekannten Filmen.
    Ich setzte mich oder sackte vielmehr aufs Sofa. Eine ganze Weile starrte ich wie belämmert auf die Schlagzeile und verfolgte den Riesenzirkus, den dieser kleine Satz ausgelöst hatte. Es gab keinen weiteren Anhaltspunkt, kein Bild, keinen irgendwie gearteten Beweis. Ein hohles Loch.
    Die Nachricht war gerade zehn Minuten alt, und man ahnte bereits, dass sie den ganzen restlichen Tag diese beunruhigende Schlagzeile ausschlachten würden, selbst wenn sie nichts Weiteres in Erfahrung bringen sollten.
    Die Einschaltquoten schossen bestimmt in Rekordhöhen.
    Meine Großmutter hatte mir einmal von der ersten Mondlandung erzählt, die sie im Fernsehen mitverfolgt hatte. Meine Mutter habe an diesem Tag unentwegt geweint, weil sie Zähne bekam, außerdem sei es schrecklich heiß gewesen, als habe sich die Sonne mit aller Kraft diesem Ereignis widersetzt.
    Wer hätte gedacht, dass an einem anderen Sommertag, etliche Jahre später, der erste Außerirdische auf der Erde landen würde. Ich spitzte die Ohren, horchte, ob draußen irgendwelche Babys schrien, die vielleicht auch gerade Zähne bekamen, aber es war nur gedämpftes Hundegebell zu hören.
    Ich beschloss, mich anzuziehen. Ich wusste, was mich in der Arbeit erwartete. Der Anruf meines Chefs hatte mich nervös gemacht, gleichzeitig fühlte ich mich aber auch ein wenig stolz.
    Ich entschied mich für dunkle Farben. Dann trank ich eine Literflasche Milch in zwei Schlucken aus. Ich ging zu Fuß nach unten, ich musste nachdenken. Aus irgendeinem Grund half mir dabei immer eine ebenso kurze wie intensive körperliche Betätigung. Jede routinemäßige Verrichtung wie Geschirr spülen, Fitnessrad treten oder Treppen hinuntergehen brachte mein Denken und meine Phantasie auf Trab.
    Auf der Plaza Santa Ana war zu spüren, dass die Nachricht sich langsam herumsprach. Wispernd, als trage der Wind sie ganz unschuldig mit sich, wehte sie den draußen Sitzenden zu. Die, die drinnen an der Theke standen, gaben sie an die Kellner weiter, diese an die anderen Gäste und Passanten. Nach und nach ließen alle ihre Biergläser auf den Tischen stehen und drängten sich wie hypnotisiert vor den Fernsehern. Ihre Tagesroutine oder ihre Zusammenkunft wurde von dieser seltsamen Nachricht durcheinandergewirbelt, möglicherweise sogar ihr ganzes Leben.
    Ich wollte schon ein Taxi rufen, doch als ich ein freies erblickte und meine Hand gerade hob –ließ ich sie wieder sinken.
    Vor mir war das Teatro Español, ungerührt von der aufregenden Nachricht, und rief mich.
    Ob sie wusste, was geschehen war?, fragte ich mich. Ob der Platzanweiser es ihr gesagt hatte, als er sie zu ihrem Platz begleitete? Oder sah sie Tod eines Handlungsreisenden , ohne eine Ahnung zu haben, was draußen vorging? Ich überlegte, dass drinnen Willy Loman wohl gerade seiner Frau von seinem Autounfall erzählte oder seinen Sohn Biff kritisierte. Armer Biff …
    Ich ging auf den steinernen Theaterbunker zu. Alle Türen waren verschlossen. Auf dem Plakat neben dem Eingang stand in kleinen Lettern die Besetzung und die Dauer des Stücks. Im Theater ist das immer etwas vage: »Circa 120 Minuten.« Ich dachte, dass sie zwei Stunden lang in den Tod dieses Handlungsreisenden versunken sein würde, ohne von der Ankunft des Reisenden eines anderen Planeten zu wissen, die möglicherweise dem Leben, wie wir es kannten, für immer ein Ende bereiten würde.
    »Wollen Sie nun ein Taxi oder nicht?«
    Der Taxifahrer hatte meine halb erhobene Hand gesehen, war stehen geblieben und blickte mich ungeduldig an. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er das Taxameter bereits eingeschaltet hatte. Ich konnte Taxifahrer noch nie leiden, ich traue ihnen nicht. Meine Mutter fuhr ständig Taxi, sie sagte immer, Taxifahrer könne man sich ebenso wenig aussuchen wie Familienmitglieder. »Das ist genauso wie mit einem Onkel oder der Schwiegermutter, man weiß genau, dass sie einem übel mitspielen werden, aber man hat eben keine Wahl.«
    »Wenn Sie kein Taxi wollen, dann heben Sie auch nicht die Hand.«
    Es ging mir gegen den Strich, ausgerechnet in dieses Taxi zu steigen, aber an diesem Platz wimmelte es entweder von Taxen oder kein einziges tauchte auf. Lieber kein Risiko eingehen.
    Ich stieg langsam ein und horchte dabei auf die Energie des Theaters, auf dieses scheinbar unhörbare und dennoch so kraftvolle Geräusch. Man kann es in der Umgebung jedes Theaters

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