Margaret Mitchell
beiden Händen gepackt, als wolle er ihn zerdrücken. Vorsichtig blickte
er auf, als sie hereinkam. Die Augen zu bewegen, schmerzte mehr, als er
ertragen konnte. Er stöhnte auf.
»Au, das
Licht!«
»Wie hast
du dich nur benommen, Pa«, flüsterte Scarlett ihm zu. »Zu solcher Stunde nach
Hause zu kommen und alle Nachbarn mit deinem Gesang zu wecken!«
»Gesungen
habe ich?«
»Allerdings! Einen Höllenlärm hast
du mit deiner >Klage< gemacht.«
»Ich erinnere mich an nichts.«
»Aber die
Nachbarn werden sich bis in ihr letztes Stündlein daran erinnern, und ebenso
Miß Pittypat und Melanie.«
»Heilige
Schmerzensmutter«, ächzte Gerald und leckte sich mit belegter Zunge die
ausgetrockneten Lippen. »Ich weiß gar nicht mehr, was geschah, nachdem wir
angefangen hatten zu spielen.«
»Zu
spielen?«
»Dieser
Butler, dieser Schuft, tat, als ob er der beste Pokerspieler in den Staaten sei
...«
»Wieviel
hast du verloren?«
»Verloren?
Gewonnen natürlich. Ein paar Schnäpse helfen mir immer beim Spiel.«
»Sieh in
deiner Brieftasche nach!«
Mühsam,
als werde ihm jede Bewegung zur Qual, zog Gerald die Brieftasche aus dem Rock
und öffnete sie. Sie war leer. Er sah hinein und war sprachlos.
»Fünfhundert
Dollar«, sagte er, »und ich wollte doch etwas für Mrs. O'Hara bei den
Blockadebrechern kaufen, und nun habe ich nicht einmal mehr das Fahrgeld nach
Tara!«
Während
Scarlett voller Empörung in die leere Brieftasche starrte, entstanden die
Umrisse eines Planes in ihr und nahmen sogleich Gestalt an.
»Ich kann
mich ja in der Stadt nicht mehr sehen lassen«, begann sie. »Du hast uns alle in
Schande gebracht.«
»Halt den
Mund, Puß, siehst du denn nicht, wie mir der Kopf platzt?«
»Kommst
uns da betrunken nach Hause mit einem Menschen wie Kapitän Butler und singst
aus vollem Hals, so daß alle es hören, und verlierst noch dazu eine solche
Summe Geldes.«
»Der Mann
versteht sich zu gut auf Karten, um ein Gentleman zu sein.«
»Was wird
Mutter sagen, wenn sie davon hört?«
In
plötzlicher Angst vor den Dingen, die da noch kommen sollten, blickte er auf.
»Du sagst deiner Mutter kein Wort davon, hörst du, sonst regt sie sich auf l«
Scarlett
erwiderte nichts. Sie spitzte nur ein wenig die Lippen.
»Stelle
dir doch nur vor, wie so etwas sie verletzen muß in ihrem sanften Herzen.«
»Und dabei
hast du mir erst gestern abend gesagt, ich hätte die Familie in Verruf
gebracht. Denke doch, ich, mit meinem bißchen Tanzen, zum Besten der Soldaten.
Ach, es ist zum Heulen.«
»Ach nein,
laß es lieber«, bat Gerald, »das wäre mehr, als mein armer Kopf aushalten
könnte. Weiß Gott, er zerplatzt schon jetzt.«
»Und du
sagtest, ich ... «
»Aber Puß,
komm, sei nicht böse darüber, was dein armer alter Vater dir gesagt hat. Er
meinte doch gar nicht, was er sagte, und verstand selbst kein Wort davon. Weiß
Gott, du bist ein famoses Mädel.«
»Und mich
wolltest du in Schande nach Hause zurückbringen!«
»Aber
Kindchen, das fällt mir gar nicht ein, ich wollte dich doch nur necken. Und du
sagst deiner Mutter nichts von dem Geld, verstanden? Sie ist ohnehin schon so
aufgeregt wegen all der Ausgaben.«
»Wenn du
mich hier läßt«, sagte Scarlett nun ganz offen, »und Mutter sagst, es sei alles
weiter nichts als ein dummer Riesenklatsch unter den alten Weibern, dann sage
ich auch nichts.«
Gerald
schaute seine Tochter bekümmert an. »Das ist eine regelrechte Erpressung.«
»Und heute
nacht war es ein regelrechter Skandal.«
»Nun,
nun«, begütigte er, »wir wollen nicht mehr daran denken. Sag mal, meinst du
wohl, daß eine so feine Dame wie Miß Pittypat vielleicht ein bißchen Branntwein
im Hause hätte? Der Kater muß zu trinken haben.«
Scarlett
wandte sich um und ging auf Zehenspitzen über den Flur ins Eßzimmer, um die
Branntweinflasche zu holen, die sie und Melly die »Ohnmachtsflasche« getauft
hatten, weil Pittypat jedesmal ein Schlückchen daraus trank, wenn sie vor
Herzklopfen ohnmächtig wurde oder zu werden vermeinte.
Keine Spur
von Gewissensbissen, sondern nur der Triumph stand auf ihrem Gesicht
geschrieben. Nun konnte sie in Atlanta bleiben und tun, was ihr beliebte. Mit
Pittypat und Melly würde sie schon fertig werden. Sie schloß das Schränkchen
auf und drückte einen Augenblick Flasche und Glas aufatmend an die Brust. Sie
sah eine lange Reihe von Picknicks am plätschernden Wasser des Pfirsichbaches
im Geiste vor sich, Gartenfeste in Stone Mountain, Empfänge, Bälle,
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