Margaret Mitchell
der Eile die Namen aus Versehen wiederholt? Aber nein. Da waren sie:
»Tarleton, Brenton, Leutnant.«
»Tarleton,
Stuart, Korporal.«
»Tarleton,
Thomas, Gefreiter.« Und Boyd war im ersten Kriegsjahr gefallen und lag irgendwo
in Virginia begraben. Alle vier Tarletons waren tot. Tom und die lustigen,
langbeinigen Zwillinge mit dem nie stillstehenden Mund und den lächerlich
dummen Streichen, und Boyd mit der scharfen Zunge und der Anmut eines
Tanzlehrers.
Sie konnte
nicht weiterlesen. Sie wollte nicht wissen, ob noch andere der jungen Männer,
mit denen sie aufgewachsen war, mit denen sie getanzt, geflirtet und geküßt
hatte, auf dieser Liste standen. Sie hätte gern laut geweint, um sich von den
Eisenkrallen zu befreien, die sie am Hals würgten.
»Traurig«,
sagte Rhett. Sie blickte zu ihm auf. Sie hatte ganz vergessen, daß er da war.
»Viele von
Ihren Freunden?«
Sie nickte
und rang nach Worten. »Fast aus jeder Familie der Provinz ... und alle ... alle
drei Tarletons.«
Sein
Gesicht war jetzt ruhig und ernst, beinahe düster, und seine Augen allen
Spottes bar. »Es ist noch nicht zu Ende«, sagte er. »Dies sind nur die ersten
Listen, sie sind nicht vollständig. Morgen kommt eine längere Liste heraus.« Er
dämpfte die Stimme, damit er in den Wagen in der Nähe nicht gehört werde.
»Scarlett, General Lee muß eine Schlacht verloren haben. Ich hörte im
Hauptquartier, er habe sich nach Maryland zurückgezogen.«
Sie
blickte entsetzt zu ihm auf. Sie dachte nicht an die Niederlage, sondern an die
nächsten Verlustlisten. Sie war so glücklich gewesen, Ashleys Namen nicht auf
der Liste zu finden, daß sie an das Weitere nicht mehr gedacht hatte. Morgen!
In diesem Augenblick konnte er schon tot sein, und sie erfuhr es erst morgen
oder womöglich erst in einer Woche.
»Ach,
Rhett, warum müssen Kriege sein? Es wäre besser gewesen, die Yankees hätten die
Schwarzen losgekauft ... oder wir hätten sie umsonst freigegeben ... als alles
dies zu erleben.«
»Es
handelt sich nicht um die Schwarzen, Scarlett. Sie sind nur der Vorwand. Krieg
wird es immer geben, denn die Männer lieben den Krieg. Die Frauen nicht, aber
die Männer. Ja, sie lieben ihn mehr als die Liebe der Frauen.« Sein Mund verzog
sich zu dem gewohnten spöttischen Lächeln, der Ernst war wieder aus seinem
Gesicht gewichen. Er grüßte mit seinem breiten Panamahut. »Leben Sie wohl. Ich
suche Dr. Meade auf. Ich fürchte, für die Ironie, die darin liegt, daß gerade
ich ihm diese Nachricht bringen muß, hat er im Augenblick keinen Sinn. Aber
später ist es ihm wahrscheinlich ein grauenhafter Gedanke, daß ihm ein
schurkischer Spekulant einen Heldentod berichtet hat.«
Scarlett
brachte ihre Tante mit einem stärkenden Glühwein zu Bett, ließ Prissy und
Cookie zur Wartung da und ging die Straße hinunter zu Meades. Mrs. Meade
wartete oben mit Phil auf die Rückkehr ihres Mannes, und Melanie saß im
Wohnzimmer und unterhielt sich leise mit einigen teilnehmenden Nachbarinnen.
Sie war mit Nadel und Schere dabei, ein Trauerkleid, das Mrs. Elsing Mrs. Meade
geliehen hatte, zu ändern. Schon zog der ätzende Geruch selbstgemachten
schwarzen Farbstoffes, in dem Kleidungsstücke kochten, durchs Haus. Die
schluchzende Köchin rührte Mrs. Meades sämtliche Kleider in dem großen
Waschtopf um.
»Wie geht
es ihr?« fragte Scarlett leise.
»Ihr kommt
keine Träne«, sagte Melanie. »Es ist furchtbar, wenn Frauen nicht weinen
können. Ich weiß nicht, wie Männer Schweres aushalten, ohne zu weinen. Sie
müssen wohl stärker und tapferer sein als Frauen. Sie sagt, sie will selbst
nach Pennsylvanien und ihn holen. Der Doktor kann das Lazarett nicht im Stich
lassen.«
»Das wird
schrecklich für sie! Kann denn Phil nicht gehen?«
»Sie hat
Angst, er tritt sogleich in die Armee ein, wenn er ihr aus den Augen kommt. Er
ist ja sehr groß für sein Alter, und Sechzehnjährige nehmen sie bereits.«
Die
Nachbarinnen verabschiedeten sich eine nach der andern, sie wollten nicht gern
dabeisein, wenn der Doktor nach Hause kam. Scarlett und Melanie blieben allein
mit ihrer Näherei im Wohnzimmer sitzen. Melanie sah traurig, aber ruhig aus,
obwohl auch ihr Tränen auf das Kleid tropften, das sie in der Hand hatte. Ihr
war offenbar der Gedanke noch nicht gekommen, die Schlacht könne noch
weitergehen und auch Ashley als Opfer fordern. In ihrem zu Tode erschrockenen
Herzen wußte Scarlett nicht, ob sie Rhetts Worte weitergeben und in Melanies
Jammer zweifelhaften
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