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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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Trost für sich suchen sollte oder ob es besser wäre, das
Gehörte bei sich zu behalten. Schließlich entschied sie sich zu schweigen.
Melanie durfte nicht merken, wie sehr sie um Ashley bangte. Scarlett dankte
Gott dafür, daß jeder, auch Melly und Pitty, an diesem Morgen reichlich mit den
eigenen Sorgen zu tun gehabt und niemand sie beachtet hatte.
    Nachdem
sie eine Weile still gewartet hatten, hörten sie draußen Geräusch und sahen
durch die Vorhänge Dr. Meade vom Pferde steigen. Die Schultern waren ihm
zusammengesunken, der Kopf hing ihm so tief, daß sein grauer Bart sich wie ein
Fächer auf der Brust ausbreitete. Langsam trat er ins Haus, legte Hut und
Tasche ab und küßte stumm die beiden Mädchen. Gleich darauf kam Phil herunter,
ganz und gar Unbeholfenheit mit seinen langen Beinen und Armen. Die beiden
Mädchen forderten ihn mit einem Blick auf, sich zu ihnen zu setzen, aber er
ging zur Haustür hinaus, setzte sich draußen auf die oberste Stufe und stütze
den Kopf in beide Hände.
    Melanie
seufzte: »Er ist böse, weil sie ihm nicht erlauben wollen, gegen die Yankees zu
kämpfen. Fünfzehn Jahre! Ach, Scarlett, es wäre der Himmel auf Erden, solch
einen Sohn zu haben.«
    »Damit er
totgeschossen wird?« sagte Scarlett und dachte an Darcy.
    »Es ist
besser, einen Sohn zu haben, auch wenn er sterben muß, als überhaupt keinen zu
haben«, sagte Melanie und schluckte. »Aber das verstehst du nicht, Scarlett,
weil du den kleinen Wade hast. Ach, Scarlett, ich hätte so schrecklich gern ein
Kind. Du findest es gewiß ungehörig, daß ich das so frei heraussage, aber es
ist wahr. Jede Frau möchte das.«
    Scarlett
hielt eine abfällige Bemerkung nur mit Mühe zurück.
    »Sollte es
Gottes Wille sein«, fuhr Melanie fort, »daß mir Ashley genommen wird, ich
glaube, ich könnte es tragen. Zwar würde ich lieber sterben mögen, aber Gott
würde mir die Kraft geben. Unerträglich wäre mir nur, daß er fiel und ich kein
Kind von ihm hätte zu meinem Trost. Ach, du glückliche Scarlett! Charlie hast
du verloren, aber du hast seinen Sohn dafür. Wenn Ashley dahingeht, habe ich
nichts. Scarlett, verzeih mir, aber manchmal war ich so eifersüchtig auf dich
... «
    »Eifersüchtig
... auf mich?« Scarlett schrak voller Schuldbewußtsein zusammen.
    »Ja, weil
du einen Sohn hast und ich nicht. Manchmal habe ich mir eingeredet, Wade wäre
mein Kind, weil es gar zu schrecklich ist, kein Kind zu haben.«
    »Dummes
Zeug!« sagte Scarlett erleichtert. Sie warf einen raschen Blick auf die zarte
Gestalt, die errötend über ihre Näharbeit gebeugt saß. Melanie mochte sich nach
Kindern sehnen, aber die Figur dazu, eins auszutragen, besaß sie nicht. Sie war
kaum größer als ein zwölfjähriges Mädchen, schmal in den Hüften und flach auf
der Brust. Der bloße Gedanke, daß Melanie ein Kind haben könnte, war Scarlett
zuwider. Er brachte zuviel mit sich, das zu denken sie nicht ertrug. Wenn
Melanie ein Kind von Ashley hatte, so würde Scarlett gleichsam etwas von ihrem
Eigentum genommen sein.
    »Bitte,
verzeih mir, was ich über Wade gesagt habe. Ich habe ihn ja so lieb. Du bist
doch nicht böse auf mich?«
    »Sei nicht
albern«, sagte Scarlett kurz, »geh hinaus vor die Tür und kümmere dich um Phil,
er weint.«
     
    15
     
    Das Heer
war nach Virginia zurückgegangen und bezog Winterquartier am Rapidan, müde und
erschöpft von der Niederlage bei Gettysburg, und zur Weihnachtszeit kam Ashley
auf Urlaub.
    Als
Scarlett ihn nach mehr als zwei Jahren zum. erstenmal wiedersah, erschrak sie
über die Heftigkeit ihres Gefühls. Damals, im Wohnzimmer zu Twelve Oaks, als er
Melanies Mann wurde, hatte sie gemeint, niemals werde sie ihn heftiger und
leidenschaftlicher lieben können als in diesem Augenblick. Aber jetzt wußte
sie, daß sie an jenem längst vergangenen Abend nur die Empfindungen eines
Kindes gehabt hatte, das sein Spielzeug nicht bekommt. Jetzt hatte sich ihr
Gefühl während unerschöpflicher Träume entwickelt und durch die Zurückhaltung,
die sie sich hatte auferlegen müssen, mächtig verstärkt.
    Ashley
Wilkes in seiner verblichenen, geflickten Uniform, dem die Sommersonne das blonde
Haar fast weiß gebleicht hatte, war ein ganz anderer als der ruhige Junge mit
den versonnenen Augen, den sie vor dem Kriege bis zur Verzweiflung geliebt
hatte. Erst jetzt ging ihr diese Liebe wirklich durchs Herz. Jetzt war gebräunt
und hager, was sonst hell und schlank gewesen war, und der lange, goldblonde
Schnurrbart, den er

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