Margaret Mitchell
nach Kavalleristenart um den Mund herabhängend trug, machte
ihn zum Urbild eines Soldaten. Er hielt sich militärisch stramm in seiner alten
Uniform, die Pistole hing ihm am abgetragenen Halfter, die verbeulte
Degenscheide klappte gegen die hohen Stiefel, und die abgenutzten Sporen hatten
einen matten Glanz. Ashley Wilkes, Major der Konföderierten Staaten von
Amerika. Man sah ihm an, daß er jetzt gewohnt war, zu befehlen und Gehorsam zu
finden. Ein ruhiges Selbstvertrauen lag in seinem Wesen, ernste Furchen
begannen sich um seinen Mund abzuzeichnen. Die eckigen Schultern und der kühle
Glanz seiner Augen waren Scarlett neu und fremd. War er einst lässig,
gleichmütig und verträumt gewesen, so war er jetzt katzenhaft wach und
angespannt gleich einem, dessen Nerven beständig wie Geigensaiten straffgezogen
sind. In seinen Augen lag etwas Angestrengtes und Pflichtbesessenes. Die
sonnverbrannte Haut umschloß knapp das feinknochige Antlitz. Es war ihr alter,
gut aussehender Ashley und doch ein ganz anderer.
Scarlett
hatte vorgehabt, Weihnachten in Tara zu verleben. Aber seitdem Ashleys Depesche
eingetroffen war, konnte keine Macht der Welt, nicht einmal der ausdrückliche
Befehl der enttäuschten Eltern, sie von Atlanta wegholen. Hätte Ashley nach
Twelve Oaks gehen wollen, so wäre sie eilig nach Tara gefahren, nur um in
seiner Nähe zu sein. Aber er hatte seine Familie nach Atlanta kommen lassen,
und Mr. Wilkes, Honey und India waren schon in der Stadt. Nach Tara gehen und
ihn nach zwei langen Jahren nicht sehend Den berückenden Klang seiner Stimme
nicht hören, nicht in seinen Augen lesen, daß er ihrer noch gedachte? Niemals,
nicht für alle Mütter der Welt.
Ashley kam
vier Tage vor Weihnachten mit mehreren anderen Kameraden aus der Provinz, die
gleichfalls Urlaub hatten, nach Hause. Die Gefährten der Heimat bildeten seit
Gettysburg eine schmerzlich zusammengeschmolzene Schar. Cade Calvert war
darunter, ein magerer, hagerer Cade, der fortwährend hustete, zwei von den
Munroeschen Jungens, die vor Aufregung barsten, weil dies seit 1861 ihr erster
Urlaub war, Alex und Tony Fontaine, lärmend und streitlustig und voll
großartiger Trunkenheit. Die Schar mußte zwei Stunden bis zum nächsten Zug
warten, und die Aufgabe, die Fontaines davon abzuhalten, daß sie auf dem
Bahnhof miteinander und mit völlig Fremden Streit anfingen, stellte der
Diplomatie ihrer Kameraden eine so unlösbare Aufgabe, daß Ashley sie lieber
allesamt zu Pittypat mit nach Hause nahm.
»Man sollte
meinen, sie hätten in Virginia genug zu kämpfen gehabt«, sagte Cade bitter, als
er die beiden wie Kampfhähne aufeinander losgehen sah, weil sie sich den ersten
Kuß auf die Wange der aufgeregten, über die Maßen geschmeichelten Tante Pitty
streitig machten. »Aber nein. Seit Richmond sind sie betrunken und brechen
einen Streit nach dem andern vom Zaun. Die Wache hat sie dort schon
festgenommen, und nur Ashleys glatter Zunge haben sie es zu verdanken, daß sie
nicht im Gefängnis Weihnachten feiern müssen.«
Scarlett
hörte kaum ein Wort von dem, was er sagte, so beseligt war sie, mit Ashley
wieder zusammen in demselben Zimmer zu sein. Wie hatte sie nur während dieser
zwei Jahre andere Männer ansehen können! Wie hatte sie deren Verliebtheit
ertragen können, wo doch Ashley auf der Welt war!
Nun war er
wieder daheim und nur durch die Breite eines Teppichs von ihr getrennt. Sie
mußte alle Kraft aufbieten, um nicht immer aufs neue in Freudentränen
auszubrechen, während sie ihn da auf dem Sofa zwischen Melly und India sitzen
sah und Honey sich von hinten ihm über die Schulter beugte. Hätte sie nur das
Recht, dort mit ihm Arm in Arm zu sitzen, könnte sie ihm nur dann und wann über
den Ärmel streichen, um seiner leibhaftigen Gegenwart ganz gewiß zu werden, ihm
die Hand halten und sich mit seinem Taschentuch die Freudentränen trocknen! Das
alles tat Melanie und schämte sich nicht. Zu glücklich, um noch Scheu und
Zurückhaltung zu üben, hing sie am Arm ihres Mannes und betete ihn mit ihren
Blicken, ihrem Lächeln und ihren Minen an. Und Scarlett war gleichfalls zu
glücklich, um ihn ihr zu mißgönnen, zu froh, um eifersüchtig zu sein. Ashley
war wieder zu Hause!
Hin und
wieder legte sie die Hand auf die Wange, wo er sie geküßt hatte, spürte seine
Lippen von neuem bis ins Innerste und lächelte ihm zu. Natürlich hatte er sie
nicht als erste geküßt. Melly hatte sich ihm in die Arme geworfen und ihn unter
lauter
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