Margaret Mitchell
war grammatikalisch nicht
falscher, als was die Tarletonschen Zwillinge zu sagen pflegten. Aber wie man
ein Vollblutpferd von einem Ackergaul unterscheidet, so erkannten die Mädchen
untrüglich, daß er nicht ihrer Gesellschaftsschicht angehörte, was sie aber
nicht hinderte, alles zu tun, was in ihren Kräften stand, um ihn am Leben zu
erhalten. Nach einer einjährigen Gefangenschaft und einer mühseligen Wanderung
mit seinem schlecht sitzenden Holzbein war ihm wenig Kraft verblieben, um die
Lungenentzündung zu überwinden. Tagelang lag er stöhnend im Bett, versuchte
aufzustehen und kämpfte seine Schlachten im Fieberwahn noch einmal durch. Nicht
ein einziges Mal rief er nach seiner Mutter, seiner Frau, einer Schwester oder
Liebsten, und das beunruhigte Carreen.
»Irgendeinen
Angehörigen muß ein Mann doch haben«, sagte sie. »Bei ihm aber klingt es, als
wäre auf der ganzen Welt keine Seele für ihn da.« So geschwächt er auch war, er
hatte eine zähe Natur, und die gute Pflege half ihm durch. Es kam der Tag, da
seine wasserblauen Augen ihre Umgebung klar erkannten und dabei auf Carreen
fielen, die neben seinem Bett saß und ihren Rosenkranz betete, während ihr die
Morgensonne durch das blonde Haar schien.
»Dann
waren Sie also doch kein Traum«, sagte er mit seiner tonlosen Stimme.
»Hoffentlich habe ich Ihnen nicht zuviel Mühe gemacht, Miß.« Während seiner
langen Genesungszeit lag er meist still und blickte aus dem Fenster auf die
Magnolie, und niemand hatte Mühe mit ihm. Carreen hatte ihn gern, weil er so
gut und friedlich schweigen konnte, und die langen heißen Nachmittage saß sie
bei ihm, fächelte ihm Luft zu und sagte nichts.
Carreen
sprach überhaupt sehr wenig, während sie wie ein zarter Geist die Arbeiten
verrichtete, die ihre Kräfte zuließen. Sie betete viel, und wenn Scarlett ohne
anzuklopfen in ihr Zimmer trat, fand sie sie jedesmal vor dem Bette knien.
Jedesmal ärgerte sich Scarlett darüber. Sie meinte, die Zeit für Gebete wäre
vorüber. Wenn Gott es für angemessen hielt, sie so zu bestrafen, wie Er tat,
konnte Er wohl auch ohne Gebete auskommen. Bei Scarlett war der Glaube immer
eine Art von Handel gewesen. Sie versprach Gott, sich gut zu benehmen, und
erwartete dafür eine Wohltat von Ihm. Nach ihrem Dafürhalten hatte Gott wieder
und wieder den Pakt gebrochen, und sie war Ihm nicht das geringste mehr
schuldig. Wenn sie Carreen auf den Knien fand, während sie eigentlich ihren
Mittagsschlaf halten oder aber flicken und stopfen sollte, hatte sie das
Gefühl, Carreen drückte sich um einen Teil ihrer häuslichen Pflichten. Eines
Tages sagte sie das auch zu Will Benteen, der schon wieder auf dem Stuhl sitzen
konnte, und war überrascht, als er mit seiner tonlosen Stimme erwiderte:
»Lassen
Sie sie nur, Miß Scarlett, es ist ihr ein Trost. Ja, sie betet für ihre Ma und
für ihn.«
»Für ihn?«
Seine
blaßblauen Augen blickten sie durch die farblosen Wimpern ohne Verwunderung an.
Ihn schien nichts zu überraschen oder aufzuregen. Vielleicht hatte ei zuviel
gesehen und das Erschrecken verlernt. Daß Scarlett nicht wußte, was im Herzen
ihrer Schwester vorging, kam ihm anscheinend nicht weiter verwunderlich vor. Er
nahm es ebenso selbstverständlich hin wie die Tatsache, daß es Carreen eine
Wohltat war, sich mit ihm, dem Fremden, zu unterhalten.
»Für ihren
Verehrer, den jungen Brent Soundso, der bei Gettysburg gefallen ist.«
»Brent,
ihr Verehrer?« sagte Scarlett kurz, »er und sein Bruder waren meine Verehrer.«
»Ja, das
hat sie mir erzählt. Schließlich sind ja alle jungen Männer einmal Ihre
Verehrer gewesen. Trotzdem wurde er Carreens Verehrer, nachdem Sie ihn
abgesetzt hatten. Als er das letztemal auf Urlaub kam, haben sie sich verlobt.
Sie hat gesagt, er sei der einzige, den sie je geliebt habe, und da ist es ihr
ein Trost, für ihn zu beten.«
»Ach,
dummes Zeug!« Ein winziger Pfeil der Eifersucht war in Scarletts Herz
gedrungen.
Neugierig
betrachtete sie den schmächtigen Mann mit seinen knochigen, vornübergebeugten
Schultern, dem rötlichen Haar und dem ruhigen, unerschütterlichen Blick. Er
wußte also um Dinge aus ihrer eigenen Familie, die zu entdecken sie sich nicht
die Mühe genommen hatte. Darum also ging Carreen so verträumt umher und betete.
Nun, nun, bald würde sie darüber hinwegkommen. Viele Mädchen hatten den Tod
ihres Liebsten, ja ihres Mannes verwunden. Sie kannte ein Mädchen in Atlanta,
das durch den Krieg dreimal zur Witwe gemacht
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