Margaret Mitchell
nicht wirklicher als ein Schattenspiel auf einem
Vorhang, und so war es mir lieb. Ich habe allzu scharfe Umrisse nicht gern,
lieber sehe ich sie ein wenig verwischt ... «
Er hielt
inne und lächelte matt. Als der kalte Wind durch sein dünnes Hemd blies,
schauderte er ein wenig zusammen.
»Mit
anderen Worten, Scarlett, ich bin ein Feigling.«
Mit seinen
Worten von Schattenspiel und verwischten Umrissen konnte sie nicht viel
anfangen, aber das letzte hatte er in einer Sprache gesprochen, die sie
verstand. Er hatte unrecht, in ihm war keine Feigheit. Jede Linie seines
schlanken Körpers kündete von Generationen tapferer, unerschrockener Männer.
Scarlett kannte sein Führungszeugnis aus dem Krieg auswendig.
»Das ist
nicht wahr. Wäre ein Feigling bei Gettysburg auf die Kanone gestiegen und hätte
die Truppe wieder gesammelt? Hätte der General persönlich Melly einen Brief
geschrieben, wenn du ein Feigling wärst ... «
»Das ist
nicht Mut«, sagte er müde. »Der Kampf ist wie Wein. Er steigt den Feiglingen
ebenso rasch in den Kopf wie den Helden. Auf dem Schlachtfeld kann jeder Wicht
tapfer sein, wenn es heißt, tapfer zu sein oder zu sterben. Ich spreche von
etwas ganz anderem, und meine Feigheit ist etwas viel Schlimmeres, als wenn ich
beim ersten Schuß davongelaufen wäre.«
Langsam,
mühselig kamen ihm die Worte hervor, als schmerzte es ihn, sie auszusprechen,
und als stünde er abseits und höre sie selber traurigen Herzens mit an. Bei
jedem anderen, der solche Worte sprach, hätte Scarlett sie verächtlich als eine
Koketterie empfunden, aber Ashley meinte wirklich, was er sagte, und in seinen
Augen war etwas, was sie nicht zu fassen vermochte. Der Winterwind fegte ihr um
die feuchten Enkel, wieder schauderte sie zusammen, aber weniger vor Kälte als
vor Grauen über seine Worte.
»Ashley,
wovor fürchtest du dich?«
»Ach, vor
all dem Namenlosen, vor mancherlei, was sehr kindisch klänge, spräche man es
aus. Am meisten davor, daß das Leben auf einmal zu wirklich geworden ist und
man mit seinen einfachsten Tatsachen in so wehe Berührung gebracht wird. Nicht,
daß ich etwas dagegen hätte, hier im Dreck zu stehen und Holz zu spalten, nein,
aber das, was dahintersteht, nehme ich schwer. Ich nehme es schwer, daß die
Schönheit des alten Lebens verlorengegangen ist. Scarlett, vor dem Kriege war
das Leben schön, ein Ebenmaß lag darüber wie über der griechischen Kunst.
Vielleicht hat nicht jeder es so empfunden. Das weiß ich jetzt. Für mich auf
Twelve Oaks war das Leben allen Ernstes schön. Damals gehörte ich in dieses
Leben hinein, aber nun ist es vorbei. In dem neuen Leben ist kein Platz für
mich mehr da. Mir ist angst. Ich weiß wohl, es war ein Schattenspiel, dem ich
zusah. Allem, was nicht Schatten war, ging ich aus dem Wege, Menschen und
Verhältnissen, und ich grollte ihnen, wenn sie sich eindrängten. Auch dich habe
ich zu fliehen gesucht. Scarlett. Du warst zu sehr voller Leben, zu wirklich,
und ich war feige genug, lieber unter Schatten und Träumen zu sein.«
»Aber ...
aber ... Melly?«
»Melly ist
unter allen Träumen der edelste. Ihre Gestalt gehört in meine Träume, und wäre
der Krieg nicht gewesen, ich hätte mein Leben zu Ende gelebt und wäre zufrieden
in Twelve Oaks begraben worden, zufrieden damit, daß das Leben vor meinen Augen
vorbeizog, ohne mich hineinzureißen. Aber als der Krieg kam, warf sich mir das
Leben entgegen, wie es wirklich ist. Das erstemal, als ich ins Gefecht kam, bei
Bull Run, sah ich die Freunde meiner Kindheit zerschmettert und hörte den
Schrei verendender Pferde und lernte das Grauen, das einen ankommt, wenn man
einen Menschen, auf den man geschossen hat, sich zusammenkrampfen und Blut
speien sieht. Aber das war nicht das Schlimmste, Scarlett. Das Schlimmste waren
die Menschen, mit denen ich leben mußte. Immer hatte ich mich vor den Menschen
gehütet und behutsam meine wenigen Freunde gewählt. Aber der Krieg hat mich
gelehrt, daß ich mir eine Traumwelt mit Schattenfiguren erschaffen hatte. Im
Kriege habe ich gesehen, wie die Menschen in Wirklichkeit sind. Aber gelernt
habe ich nicht, wie ich mit ihnen leben soll. Das lerne ich nie. Ich weiß wohl,
ich muß, um Weib und Kind zu ernähren, mich durch eine Welt voller Menschen
schlagen, mit denen ich nichts gemein habe. Ich bin nicht wie du, Scarlett, die
du das Leben bei den Hörnern nimmst und es biegst nach deinem Willen. Mir ist
angst.«
Während
seine leise, klangvolle Stimme weitertönte,
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