Margaret Mitchell
Wissen sie denn, daß du es gewesen bist?«
»Ja,
Missis. Ich so groß, mich jeder kennen. Ich wohl der größte Neger in Atlanta.
Sie schon gestern nach hier draußen hinter mir her, aber ein Niggermädchen
haben mich in Höhle im Wald verstecken, bis sie wieder weg.«
Einen
Augenblick sah Scarlett mit gerunzelter Stirn vor sich hin. Es war ihr durchaus
nicht schrecklich, daß Sam einen Mord begangen hatte. Sie war nur enttäuscht,
daß sie ihn nicht als Kutscher haben konnte. Ein großer Neger, so wie Sam, wäre
eine ebenso gute Leibwache wie Archie. Nun, sie mußte ihn auf irgendeine Weise
nach Tara bringen. Die Behörden durften ihn um keinen Preis erwischen. Er war
ein viel zu wertvoller Neger, um gehängt zu werden. Daß er frei war, kam
Scarlett nicht in den Sinn. Er gehörte ihr noch, genauso wie Pork und Mammy,
Peter, Cookie und Prissy. Er gehörte noch >zur Familie<, und deshalb
mußte sie ihn schützen.
»Ich
schicke dich heute abend nach Tara«, sagte sie schließlich. »Hör zu, Sam, ich
muß noch ein Stückchen weiterfahren, aber vor Sonnenuntergang bin ich wieder
hier. Du wartest hier auf mich, bis ich zurückkomme. Sag niemand, wohin du
gehst, und wenn du einen Hut hast, bring ihn mit, dann kannst du dein Gesicht
darunter verstecken.«
»Ich
keinen Hut.«
»Hier ist
ein Vierteldollarstück. Du kaufst dir einen Hut von einem der Shantyneger und
triffst mich hier wieder.«
»Ja,
Missis.« Sein Gesicht glühte, so erleichtert fühlte er sich, daß er wieder
jemand hatte, der ihm sagte, was er tun sollte.
Nachdenklich
fuhr Scarlett weiter. Will würde sich bestimmt über einen guten Ackerknecht auf
Tara freuen. Pork war auf dem Feld nie zu brauchen gewesen und änderte sich
wohl auch nicht mehr. Wenn Sam auf der Plantage war, konnte Pork nach Atlanta
zu Dilcey kommen, wie sie ihm bei Geralds Tod versprochen hatte.
Als sie
bei der Mühle ankam, ging die Sonne gerade unter. Sie war ungern zu so später
Stunde noch unterwegs. Johnnie Gallegher stand in der Tür der elenden Hütte,
die als Küche für das kleine Holzlager diente. Auf einem Holzklotz vor der
Wellblechbaracke, die als Schlafraum diente, saßen vier von den fünf
Sträflingen, die Scarlett Johnnies Mühle zugeteilt hatte. Ihre
Sträflingskleidung war schmutzig und verschwitzt, die Fesseln klirrten an ihren
Fußgelenken, sobald sie eine müde Bewegung machten. Sie hatten etwas Stumpfes
und Verzweifeltes an sich. Scarlett betrachtete ihre abgezehrten, kränklichen
Gestalten genauer. Als sie sie vor kurzem gemietet hatte, war es eine ganz
handfeste Mannschaft gewesen. Sie blickten nicht einmal auf, als sie aus dem
Wagen stieg, aber Johnnie kam auf sie zu und zog nachlässig den Hut. Sein
kleines braunes Gesicht war hart wie eine Nuß, als er sie begrüßte.
»Die Leute
sehen nicht gut aus«, sagte sie unwillig. »Sie gefallen mir nicht, und wo ist
der fünfte?«
»Schläft«,
sagte Johnnie lakonisch, »Behauptet, er ist krank.«
»Was fehlt
ihm?«
»Faulheit.«
»Ich will
ihn mir mal ansehen.«
»Lassen
Sie das, er liegt wohl nackend. Morgen ist er wieder bei der Arbeit.«
Scarlett
zögerte und sah einen der Sträflinge matt den Kopf erheben und Johnnie mit
erbittertem Haß anblicken, ehe er wieder zu Boden sah.
»Haben Sie
die Leute gepeitscht?«
»Mrs.
Kennedy, wer von uns beiden hat die Mühle zu leiten? Sie haben sie mir
übertragen und mir gesagt, ich solle freie Hand haben. Sie haben doch nicht
über mich zu klagen? Schaffe ich nicht doppelt soviel wie Mr. Elsing?«
»Ja, das
tun Sie«, antwortete Scarlett, aber ein Grabesschauer überlief sie.
Das Lager
mit seinen häßlichen Baracken hatte etwas Unheimliches, was es unter Hugh
Elsing nicht gehabt hatte, etwas so Einsames und von aller Welt Abgetrenntes,
daß sie fröstelte. Diese Sträflinge waren gänzlich fern von allen anderen
Menschen und Johnnie Gallagher auf Gnade und Ungnade ausgeliefert, und wenn er
sich einfallen ließ, sie auszupeitschen oder sonst zu mißhandeln, erfuhr sie
sicher nichts davon. Und die Sträflinge trauten sich bestimmt nicht, sich bei
ihr zu beschweren, aus Angst, wenn sie fort war, noch härter bestraft zu
werden.
»Die Leute
sehen abgefallen aus. Was geben Sie ihnen zu essen? Ich gebe, weiß Gott, so
viel für ihre Kost aus, daß sie fett dabei werden könnten wie die Schweine.
Vorigen Monat haben mich Mehl und Fleisch allein dreißig Dollar gekostet. Was
bekommen sie heute abend?«
Sie ging
zur Küchenbaracke hinüber und blickte hinein.
Weitere Kostenlose Bücher