Margaret Mitchell
Mrs.
Tarleton gehabt hätte; aber Spaß mußte es doch machen, so mit seiner Mutter
umgehen zu dürfen. Schon der Gedanke war Ellen gegenüber ein Mangel an
Ehrfurcht, und sie schämte sich seiner. Von solchen Anfechtungen wurden die
Hirne unter den vier Rotschöpfen dort im Wagen gewiß niemals heimgesucht. Wie
immer, wenn Scarlett das Gefühl hatte, anders als ihre Nachbarn zu sein, befiel
sie eine gereizte Unsicherheit.
So
gescheit sie auch war, hatte sie doch wenig Menschenkenntnis; trotzdem begriff
sie halb unbewußt, daß die Tarletonschen Mädchen zwar unbändig wie Füllen und
wild wie Märzhasen waren, aber als glückliches Erbteil eine unbekümmerte innere
Sicherheit besaßen. Von sehen der Mutter wie des Vaters waren sie
Nordgeorgianer, nur durch eine Generation von den ersten Bahnbrechern in der
Wildnis getrennt. Sie waren ihrer selbst und ihrer Umwelt sicher und wußten aus
Instinkt, was sie zu tun hatten. Das galt auch für die Wilkes, doch auf ganz
andere Art. Jener innere Zwist, den Scarlett so oft durchkämpfen mußte, da in
ihren Adern das Blut der überzüchteten Aristokratin sich mit der gescheiten
erdnahen Art des irischen Bauern mischte, blieb ihnen erspart. Scarlett hatte
das Bedürfnis, ihre Mutter zu verehren und anzubeten, zugleich aber auch ihr
Haar zu zausen und sie zu necken. Es war derselbe Widerstreit der Gefühle, der
sie wünschen ließ, vor Männern als zarte Dame von edler Herkunft zu erscheinen,
gleichzeitig aber auch ein ausgelassenes Mädchen zu sein, das sich nicht zu gut
für ein paar Küsse vorkam.
»Wo steckt
denn Ellen heute morgen?« fragte Mrs. Tarleton.
»Sie muß
unserem Aufseher Entlastung erteilen und ist zu Hause geblieben, um die Bücher
mit ihm durchzugehen. Wo ist denn der Gemahl und die Söhne?«
»Ach, die
sind schon vor mehreren Stunden nach Twelve Oaks hinübergeritten, den Punsch zu
probieren, vermutlich um festzustellen, ob er stark genug ist. Als ob sie nicht
von jetzt bis morgen früh Zeit genug dazu hätten! Ich werde John Wilkes bitten,
sie über Nacht dazubehalten, und wenn er sie in den Stall legen muß. Fünf
Männer, die des Guten zuviel haben, sind auch mir zuviel. Mit dreien will ich
schon fertig werden, aber ... «
Rasch
unterbrach Gerald sie und wechselte das Thema. Er spürte genau, wie hinter
seinem Rücken die eigenen Töchter kicherten und daran dachten, in welcher
Verfassung er von dem Wilkesschen Gartenfest im vorigen Herbst nach Hause
gekommen war.
»Warum
sitzen Sie denn heute nicht zu Pferde, Mrs. Tarleton? Ohne Nellie sehen Sie mir
ganz fremd aus. Sie sind doch der wahre Stentor ...«
»Stentor,
du meine Güte!« Mrs. Tarleton äffte sein Irisch nach. »Zentaur meinen Sie wohl!
Stentor war ein Mann mit einer Stimme wie ein Messinggong.«
»Stentor
oder Zentaur, das ist mir eins«, antwortete Gerald und ließ sich durch seinen
Irrtum nicht aus der Fassung bringen. »Im übrigen haben Sie ja eine Stimme wie
aus Messing, gnädige Frau, wenn sie die Meute antreiben.«
»Da hast
du's, Ma«, sagte Hetty, »ich hab' dir immer gesagt, du kreischst jedesmal wie
ein Indianer, wenn du einen Fuchs siehst.«
»Nicht so
laut, wie du kreischst, wenn Mammy dir die Ohren wäscht«, gab Mrs. Tarleton
zurück. »Und du willst sechzehn Jahre alt sein! Also reiten kann ich heute
nicht, weil Nellie in der Frühe gefohlt hat.«
»Wahrhaftig!«
Gerald war auf das lebhafteste interessiert, seine irische Leidenschaft für
Pferde strahlte ihm aus den Augen, und Scarlett hatte wieder das Gefühl der
Bestürzung, als sie ihre Mutter mit Mrs. Tarleton verglich.
Für Ellen
fohlten Stuten nicht und kalbten keine Kühe. Kaum daß Hühner Eier legten. Ellen
sah über all das vollständig hinweg. Aber Mrs. Tarleton kannte solche
Schamhaftigkeiten nicht.
»Eine
kleine Stute, nicht wahr?«
»Nein, ein
schöner kleiner Hengst mit fast zwei Meter langen Beinen. Sie müssen einmal
herüberkommen und ihn sich ansehen, Mr. O'Hara. Ein echt Tarletonsches Pferd,
rot wie Hettys Locken.«
»Sieht
Hetty auch sonst furchtbar ähnlich«, sagte Camilla und tauchte dann in einen
Wirrwarr von Röcken, Spitzenhosen und wippenden Hüten unter, als Hetty sie zu
kneifen begann.
»Meine
Fohlen sticht heute morgen der Hafer«, sagte Mrs. Tarleton, »sie haben schon
die ganze Zeit über hinten ausgeschlagen, seit wir heute morgen die Neuigkeiten
über Ashley und seine kleine Cousine aus Atlanta hörten. Wie heißt sie noch?
Melanie? Gott segne das Kind, sie ist gewiß ein süßes
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