Margaret Mitchell
kam. Sie hätte nicht soviel gelitten. Wäre doch das kleine Mädchen hinter
der geschlossenen Tür dort ihres und nicht Scarletts! Ach, wie schlecht ich
doch bin, dachte sie schuldbewußt. Ich trachte nach ihrem Kinde, und dabei ist
Scarlett doch so gut gegen mich gewesen. Vergib mir, Herr. Ich möchte ja auch
eigentlich gar nicht Scarletts Baby haben ... aber so sehr gern ein eigenes!
Sie schob
sich ein kleines Kissen in den schmerzenden Rücken und dachte voll Verlangen an
eine eigene kleine Tochter. Aber Dr. Meade wollte nicht mit sich reden lassen.
Sie selbst war zwar durchaus bereit, für ein zweites Kind ihr Leben aufs Spiel
zu setzen, aber davon wollte Ashley nichts wissen. Ein Mädchen! Wie würde sich
Ashley über ein kleines Mädchen freuen!
Ein
Mädchen! Erschreckt fuhr Melanie auf. Sie hatte ja Kapitän Butler gar nicht
gesagt, daß es ein Mädchen war! Natürlich hatte er einen Jungen erwartet.
Melanie wußte, daß der Frau ein Mädchen ebenso willkommen ist wie ein Junge,
aber für einen Mann, besonders für einen so eigenwilligen wie Rhett, war ein
Mädchen ein Schlag ins Gesicht, ein Makel an seiner Manneswürde. Wäre Melanie
Butlers Frau gewesen, sie wäre lieber bei der Geburt gestorben, als daß sie ihm
eine Tochter geboren hätte.
Aber
Mammy, die mit breitem Grinsen aus dem Zimmer gewatschelt kam, beruhigte sie
und gab ihr zugleich das Rätsel auf, was für ein Mann Kapitän Butler denn nun
eigentlich sei.
»Als ich
eben das Kind gebadet habe«, sagte Mammy, »habe ich Mister Rhett ein bißchen um
Entschuldigung gebeten, daß es kein Junge ist. Aber Jesus, Miß Melly, wissen
Sie, was er gesagt hat? >Willst du still sein, Mammy«, hat er gesagt,
>was soll ich mit einem Jungen, Jungen sind kein Spaß, machen nur Sorge,
aber Mädchen machen Spaß, ich gäbe dies Mädchen nicht für ein Dutzend Jungen
her.« Dann wollte er mir das Kind splitternackt, wie es war, wegnehmen, und ich
habe ihm aber einen Klaps gegeben und gesagt: >Benehmen Sie sich, Mister
Rhett! Wir wollen einmal abwarten, bis Sie einen Jungen bekommen, dann lache
ich aber, wenn Sie vor Freude brüllen.« Da hat er gegrinst und den Kopf
geschüttelt. Er hat gesagt: >Mammy, du bist ein Schafskopf, von Jungen hat
niemand etwas, das siehst du doch an mir.« Ja, Miß Melly, er hat sich wie ein
Gentleman benommen«, schloß Mammy gnädig, und es entging Melanie nicht, daß
Rhett bei Mammy vieles wiedergutgemacht hatte. »Vielleicht habe ich Mister
Rhett auch ein bißchen Unrecht getan, und heute ist ein Glückstag für mich, Miß
Melly. Nun habe ich schon drei Generationen Robillard-Mädchen in Windeln
gewickelt. Ein richtiger Glückstag.«
Für einen
im Hause aber war es kein Glückstag. Wade Hamilton trieb sich trübselig im
Eßzimmer umher, von allen übersehen oder gelegentlich auch ausgescholten. Schon
ganz früh hatte Mammy ihn aus dem Schlaf geweckt, ihn eilig angezogen und mit
Ella zu Tante Pitty gebracht. Als einzige Erklärung wurde ihm gesagt, Mutter
sei krank, und der Lärm beim Spielen könnte sie stören. Bei Tante Pitty stand
alles auf dem Kopf, die alte Dame hatte ihre Zustände bekommen und sich ins
Bett gelegt, Cookie pflegte sie, und Peter hatte schlecht und recht ein
Frühstück für die Kinder zusammengebraut. Im Laufe des Morgens bekam Wade
Angst. Wenn nun Mutter starb? Auch andere Jungen hatten ihre Mutter verloren.
Er hatte seine Mutter sehr lieb, beinahe ebensosehr, wie er sich vor ihr
fürchtete, und die Vorstellung, schwarze Pferde mit Straußenfedern am Geschirr
könnten sie auf einem schwarzen Leichenwagen wegfahren, wie er es bei anderen
gesehen hatte, fiel ihm so schwer auf seine kleine Brust, daß er kaum zu atmen
vermochte. Mittags schlüpfte er davon, rannte nach Hause, die Angst saß ihm auf
den Fersen. Onkel Rhett, Tante Melly oder Mammy sagten ihm sicher die Wahrheit.
Aber Onkel
Rhett und Tante Melly waren nirgends zu sehen, und Mammy und Dilcey liefen mit
Handtüchern und heißem Wasser treppauf, treppab und bemerkten ihn gar nicht.
Von oben hörte er hin und wieder Dr. Meades Stimme; einmal hörte er auch seine
Mutter stöhnen und brach in Schluchzen aus. Um sich zu trösten, bändelte er mit
dem honiggelben Kater an, der auf der sonnigen Fensterbank lag. Endlich kam
Mammy, die immer so gut zu ihm war, die Treppe herunter, jetzt aber machte sie
ein böses Gesicht und schalt: »Du bist doch der ungezogenste Junge, den ich
kenne! Habe ich dich nicht zu Miß Pitty geschickt? Lauf schnell wieder
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