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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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hin!«
    »Muß
Mutter ... muß sie sterben?«
    »Herr
Jesus, sterben? Nein, du Quälgeist. Mein Gott, sind Jungens eine Plage. Mach,
daß du fortkommst!«
    Aber Wade
ging nicht fort. Er zog sich hinter die Portieren in der Halle zurück. Mammys
Worte hatten ihn nicht recht überzeugt. Eine halbe Stunde später kam Tante
Melly die Treppe eilig herunter. Sie sah blaß und müde aus, aber sie lächelte
vor sich hin. Als sie sein betrübtes Gesichtchen erblickte, sagte sie
erschrocken und ärgerlich, wie sie sonst nie tat: »Wade, das ist aber unartig
von dir. Warum bist du nicht bei Tante Pitty geblieben?«
    »Muß
Mutter sterben?«
    »Gott
bewahre, du dummer kleiner Junge!« Dann wurde sie freundlich. »Dr. Meade hat
ihr gerade ein niedliches kleines Baby gebracht, eine süße kleine Schwester für
dich, mit der du spielen kannst, und wenn du ganz artig bist, darfst du sie
heute abend sehen. Nun lauf hinaus, spiel und sei ganz leise.«
    Wade
schlüpfte in das stille Eßzimmer. Seine kleine Welt war ins Wanken geraten. War
denn an diesem sonnigen Tag, da die Großen sich so merkwürdig benahmen,
nirgends Platz für einen verängstigten siebenjährigen kleinen Jungen? Er setzte
sich in den Erker und knabberte an einem Blatt der Begonie, die im Blumenkasten
in der Sonne wuchs. Es war so scharf, daß ihm die Tränen in die Augen traten,
er fing an zu weinen. Mutter mußte doch wohl sterben, niemand achtete auf ihn,
und alle rasten sie durchs Haus, nur wegen eines neuen Babys, eines kleinen
Mädchens. Wade hatte für Babys wenig Interesse und noch weniger für Mädchen.
Das einzige kleine Mädchen, das er genau kannte, war Ella, und bisher hatte sie
ihm weder Achtung noch Zuneigung abgewinnen können.
    Nach einer
langen Pause kamen Dr. Meade und Onkel Rhett die Treppe herunter und standen in
leisem Gespräch in der Halle. Als Onkel Rhett die Tür hinter dem Doktor
geschlossen hatte, kam er ins Eßzimmer und goß sich aus der Karaffe ein großes
Glas ein, dann erst sah er Wade. Er lächelte. So hatte Wade ihn nie lächeln
sehen. Sein strahlendes Gesicht machte ihm Mut, er sprang von der Fensterbank
und lief zu ihm hin. »Du hast eine kleine Schwester bekommen«, sagte Rhett und
kniff ihn ein wenig in den Arm, »das schönste Baby, das du je gesehen hast.
Aber was gibt es denn da zu weinen?«
    »Mutter
... «
    »Mutter
ist gerade beim Essen. Sie bekommt einen ganz großen Teller voll Huhn mit Reis
und ein Tasse Kaffee, und nach einer kleinen Weile machen wir ihr Sahneeis, und
dann bekommst du auch zwei Teller davon ab, wenn du magst. Und deine kleine
Schwester will ich dir auch zeigen.«
    Wade fiel
ein solcher Stein vom Herzen, daß ihm ganz schwach wurde. Er versuchte, etwas
Nettes über die kleine Schwester zu sagen, brachte es aber nicht fertig. Alle
interessierten sich nun für dies Mädchen. Aus ihm machte sich niemand etwas,
nicht einmal Tante Melly und Onkel Rhett.
    »Onkel
Rhett«, fing er schließlich an, »mögen die Leute Mädchen lieber als Jungen?«
    Rhett
setzte sein Glas aus der Hand, sah Wade scharf in das kleine Gesicht und
blickte ihn mit plötzlichem Verstehen an.
    »Nein, das
kann man eigentlich nicht sagen«, antwortete er ernsthaft als überlegte er sich
die Sache genau. »Das kommt wohl nur daher, daß Mädchen ärgere Quälgeister sind
als Jungen, und um Quälgeister kümmert man sich immer mehr als um jemanden, der
einen nicht stört.«
    »Aber
Mammy hat gesagt, Jungens sind Quälgeister!«
    »Ach,
Mammy war ein bißchen aus dem Häuschen und hat es nicht ernstgemeint.«
    »Onkel
Rhett, hättest du nicht lieber einen kleinen Jungen gehabt als ein kleines
Mädchen?« fragte Wade hoffnungsvoll.
    »Nein«,
antwortete Rhett sofort, und als der Kleine ein langes Gesicht machte, fuhr er
rasch fort:
    »Warum
sollte ich denn einen Jungen haben wollen, wenn ich schon einen habe?«
    »Du hast
einen?« Wade blieb der Mund offenstehen. »Wo denn?«
    »Hier
steht er ja«, antwortete Rhett, hob das Kind auf und setzte es sich aufs Knie.
»Du bist mein Junge, mehr Jungen brauche ich nicht, mein Sohn.«
    In diesem
Augenblick fühlte Wade sich so glücklich und geborgen, daß er fast wieder
angefangen hätte zu weinen. Es gluckste ihm im Hals, und er barg den Kopf an
Rhetts Weste.
    »Du bist
doch mein Junge, nicht wahr?«
    »Kann man
denn ... kann man der Junge von zwei Männern sein?« fragte Wade, und die Treue
zu dem Vater, den er nie gekannt hatte, rang mit der Liebe zu dem, der ihn so
verständnisvoll an sich

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