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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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es mit mir zu tun!«
    Ehe sie
antworten konnte, öffnete er die Tür, schob sie hinein und schloß dann hinter
ihr zu. Das kleine Zimmer mit seinen billigen Nußbaummöbeln lag im Halbdunkel,
die Lampe war mit einer Zeitung abgedeckt. Es war so klein und schlicht wie das
Zimmer eines Schulmädchens, das schmale Bett mit dem niedrigen Kopfende, die
einfachen gerafften Tüllgardinen, der frisch gewaschene, verblichene
Flickenteppich auf dem Boden, das alles war so anders als Scarletts eigenes
üppiges Schlafzimmer mit den gewaltigen geschnitzten Möbeln, den
Brokatvorhängen und dem Teppich mit dem Rosenmuster.
    Melanie
lag im Bett, ihre flache mädchenhafte Gestalt verlor sich fast unter der
Steppdecke. Zwei schwarze Zöpfe lagen zu beiden Seiten ihres Gesichts, die
geschlossenen Augen waren tief in violette Ringe gebettet. Scarlett lehnte sich
an die Tür und konnte nicht weiter. Selbst in diesem Halbdunkel wirkte Melanies
Gesicht wachsgelb, alles Blut des Lebens war herausgeströmt. Die Nase war wie
zusammengekniffen. Bis jetzt hatte Scarlett gehofft, daß der Doktor sich irrte,
nun aber wußte sie, wie es stand. Während des Krieges hatte sie zuviel
Gesichter mit diesem eingekniffenen Zug um die Nase gesehen. Sie wußte, was es
unweigerlich zu bedeuten hatte.
    Melanie
lag im Sterben. Das war nicht zu fassen. Es war unmöglich, Melanie durfte nicht
sterben. Gott konnte es nicht zulassen. Scarlett hatte sie doch so bitter
nötig. Bislang war es ihr nie in den Sinn gekommen, daß sie Melanie brauchte,
jetzt aber ging ihr die Wahrheit auf, überwältigend bis in den tiefsten Grund
ihrer Seele. Auf Melanie hatte sie sich verlassen wie auf sich selbst, und
hatte es nie gewußt. Nun sollte Melanie sterben, und nun wußte Scarlett, daß
sie sie nicht entbehren konnte. Jetzt, während sie sich auf Zehenspitzen der
stillen Gestalt näherte und das Entsetzen ihr ans Herz griff, wurde ihr bewußt,
daß Melanie ihr Schwert und ihr Schild, ihr Trost und ihre Kraft gewesen war.
    »Ich halte
sie fest, ich kann sie nicht lassen«, dachte sie bei sich und sank mit
raschelnden Röcken neben dem Bett auf die Knie. Sie ergriff die schlaffe Hand,
die auf der Decke lag, und erschrak über ihre Kälte.
    »Ich bin
es, Melanie«, sagte sie.
    Melanies
Augen öffneten sich ein klein wenig und fielen dann wieder zu, als wäre sie nun
überzeugt und beruhigt, daß es wirklich Scarlett war. Nach einer Pause holte
sie Atem und flüsterte:
    »Versprichst
du mir ... «
    »Alles!«
    »Beau ...
sorgst du für ihn?«
    Scarlett
konnte nur nicken, es würgte ihr in der Kehle, und zum Zeichen ihres
Versprechens drückte sie sanft die Hand, die sie in der ihren hielt.
    »Ich
vermache ihn dir.« Die Spur eines Lächelns umspielte ihren Mund. »Ich habe ihn
dir schon einmal vermacht ... weißt du noch ... vor seiner Geburt.«
    Und ob sie
es noch wußte! Konnte sie denn jene Stunde jemals vergessen? Als wäre der
schreckliche Tag leibhaftig wieder da, so deutlich spürte sie die stickige
Hitze des Septembernachmittags und ihre Angst vor den Yankees, vernahm den
Marschtritt der Truppen auf dem Rückzug und Melanies Stimme, die ihr das Kind
anvertraute für den Fall, daß sie sterben sollte - und sie erinnerte sich, daß
sie damals Melanie gehaßt hatte und gehofft, sie möge sterben.
    »Ich habe
sie getötet«, dachte sie in abergläubischer Angst. »Sooft habe ich mir
gewünscht, sie möge sterben, daß Gott es gehört hat, und nun straft er mich.«
    »Ach, Melly, sprich nicht so! Du
kommst noch durch ... «
    »Nein, versprich es mir.« Scarlett
schluckte.
    »Das ist
doch selbstverständlich. Er soll sein wie mein eigenes Kind.«
    »Universität?«
fragte Melanies schwache, kaum hörbare Stimme.
    »Gewiß!
Universität, Harvard, Europa, alles, was er will ... und ... ein Pony ...
Musikstunden ... ach, bitte, bitte, Melanie nimm alle Kraft zusammen!«
    Es wurde
wieder still. Sie sah an Melanies Gesicht, wieviel Mühe es sie kostete,
weiterzusprechen.
    »Ashley«,
sagte sie, »Ashley und du ...« Ihre Stimme verlor sich und verstummte.
    Da, als
Ashleys Name fiel, stand Scarlett das Herz still, kalt wie ein Stein. Melanie
hatte von Anfang an alles gewußt. Scarlett ließ den Kopf auf die Decke sinken.
Ein Schluchzen, das ihr im Halse festsaß, sprengte ihr schier die Kehle.
Melanie wußte es! Scarlett war jetzt darüber hinaus, sich zu schämen. Als
einziges Gefühl blieb ihr die wilde Gewissensqual, daß sie all die langen Jahre
hindurch diesem sanften Herzen

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