MargeritenEngel (German Edition)
verstehe ich auch, dass es nicht anders ging. Du musst hier ja ein bestimmt überlebenswichtiges Fußballspiel angucken. Da kann man natürlich keine Rücksicht nehmen!« Ich rede mich in Rage. Der ganze angestaute Frust hat endlich ein Ventil gefunden. Paul ist genau der Richtige dafür.
Wütend funkele ich ihn an, kann nicht fassen, dass er mich zuerst mit offenem Mund anstarrt und dann hart lacht.
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest!«, brummt er schließlich. »Wo immer Kevin heute auch arbeiten mag, er ist ganz bestimmt nicht in der Videothek. Da ist er schon seit Wochen nicht mehr aufgetaucht.«
Der Boden beginnt, sich unter meinen Füßen zu drehen. Die Wut verschwindet urplötzlich und wird von einem heftigen Schwindelgefühl ersetzt.
»Was sagst du da?«, flüstere ich atemlos.
»Ich sagte, Kevin arbeitet schon eine Ewigkeit nicht mehr für mich. Zuerst ist ihm immer irgendetwas Wichtiges dazwischen gekommen, dann ist er gar nicht mehr ans Telefon gegangen. Ehrlich, es gibt keinen Grund, ihm hinterherzulaufen. Ich brauche Leute, auf die ich mich verlassen kann.«
»Er arbeitet nicht mehr für dich?« Ich ringe um meine Fassung. Der Raum um mich herum verschwimmt vor meinen Augen. Aus den Menschen wird ein Meer von undefinierbaren Farben und Körpern. »Heute auch nicht?«
Ich höre Pauls Antwort nicht, reagiere nicht auf sein: »Anscheinend hat er einen lukrativeren Job gefunden.«
Mein Gehirn weigert sich, die Informationen zu verarbeiten, mein Verstand will keine Schlüsse aus dem Gehörten ziehen. Ich ziehe das Handy aus meiner Hosentasche. Keine SMS, kein Anruf. Ich wähle Kevins Nummer und kann durch den Lärm kaum die Stimme des Anrufbeantworters hören. Ich lasse das Telefon sinken.
Nur langsam sickert die Erkenntnis durch meinen Körper, vergiftet jede Zelle, raubt mir jedes gute Gefühl. Es ist egal, wo Kevin gerade ist. Es ist egal, was er dort macht. Er belügt mich. Er belügt mich schon länger. Jedes Mal, wenn er plötzlich arbeiten musste, wenn er einfach abgehauen ist.
Ich schließe die Augen, versuche, den Schmerz abzublocken, aber dafür ist es zu spät. Mit brutaler Wucht bricht er über mir ein.
»Alles klar, Bengt?«, höre ich Riks Stimme neben mir.
Ich starre ihn an, ohne ihn wirklich zu sehen. Nicke oder schüttle ich den Kopf?
»Wer war das denn?«, fragt er.
Ich kann nicht antworten. Ich kann nicht denken, aber ich frage mich, ob Rik… Sie haben so viel Zeit miteinander verbracht.
»Wo ist Kevin?«, frage ich wütend.
»Ich dachte, er ist arbeiten? Was ist denn los?«, erwidert Rik und klingt tatsächlich ahnungslos. Aber ich kann ihm nicht trauen, ich kann überhaupt niemandem mehr trauen.
»Arbeiten? Wo denn?«, fahre ich ihn an.
»Bengt, ich verstehe nicht, was du von mir willst.«
Ich drehe mich zu ihm um, starre ihn an. Alles in mir zieht sich zusammen. Ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen.
»Macht es euch Spaß, mich zu verarschen? Lacht ihr euch danach schön über den kleinen, dummen Bengt kaputt? Ist das alles Teil eures Plans? Ohne mich! Ich mache da nicht mit!« Die letzten Worte brülle ich heraus. Es ist mir egal, ob sich sämtliche Köpfe in meine Richtung bewegen. Es ist egal, dass ich von den anderen angestarrt werde.
»Beruhig dich erst mal wieder!«, versucht Rik, mich zu beschwichtigen. Seine Hand verbrennt mir die Haut. Ich reiße mich los und flüchte aus der Kneipe.
»Was ist denn los?«, höre ich gedämpft Sabine, ehe ich durch die Tür verschwunden bin.
Kopflos renne ich die Straße entlang. Meine Lungen brennen, jeder Schritt hallt in meinen Ohren wider. Tausende Fragen kreisen durch mein Gehirn und wollen alle auf einmal losbrechen.
»Bengt!«, ruft Rik hinter mir. Ich drehe mich nicht um und laufe schneller, auch wenn ich mir kindisch vorkomme.
An der nächsten Ecke hat er mich eingeholt. Grob packt seine Hand meinen Arm und hält mich auf.
»Ich will eine Erklärung von dir. Ich habe keine Ahnung, wovon du geredet hast.«
»Lass mich los«, fauche ich. Tatsächlich verschwindet die Hand.
Ich drehe mich weg und gehe weiter. Rik bleibt neben mir. Es fällt ihm nicht besonders schwer, mit mir Schritt zu halten. Wenn ich anfange, zu rennen, würde er es dann auch machen? Der Gedanke, verbunden mit den dazugehörigen Bildern, lässt mich bitter auflachen.
Ich will mich nicht hysterisch benehmen, aber ich kann auch diese verdammte Fassungslosigkeit in meinem Inneren nicht bezwingen. Es ist, als wenn mir jemand den
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