MargeritenEngel (German Edition)
Boden unter den Füßen weggezogen hätte. Ich falle und falle und habe Angst vor dem Aufprall.
»Wo ist Kevin?«, frage ich leise.
»Auf der Arbeit.«
»Wo arbeitet er?«
»In der Videothek.«
»Verarschst du mich?
»Nein.«
Ich bleibe stehen und schließe die Augen. Meine Seite schmerzt. Ich versuche, tief Luft zu holen.
»Was ist los?«, fragt Rik erneut. Seine Stimme klingt so ehrlich, dass ich ihm für einen Augenblick wirklich glauben möchte. Ich bin so verdammt allein.
»Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass da drin Paul sitzt, Kevins Chef. Jedenfalls dachte ich das bis eben. Und dann erzählt der mir grade, dass Kevin schon lange nicht mehr für ihn arbeitet.«
Ich kann sehen, wie Rik sich verspannt, wie seine Gesichtszüge sich verhärten. Er ballt die Fäuste und für einen Moment frage ich mich, ob er mich schlagen will. Aber warum sollte er das tun?
»Und du lässt dich mit einem Ring einwickeln!« Er spuckt mir die Worte regelrecht entgegen.
Fassungslos starre ich ihn an. Ich kann diesen Vorwurf jetzt nicht auch noch ertragen.
»Fick dich«, fahre ich ihn an und verschwinde.
Rik folgt mir nicht. Ich weiß nicht, ob ich froh darüber bin. Ich fühle gerade gar nichts.
Kapitel 13
Erkenntnisse
An der nächsten Ecke bleibe ich stehen und stütze keuchend die Hände auf den Knien ab. Es ist nicht das Laufen, das mich so anstrengt, sondern meine Gedanken, die wild durch meinen Kopf rasen und mir die Luft zum Atmen nehmen. Es ist das Gefühl, dass alles über mir zusammenbricht.
Meine Lungen brennen und meine Beine zittern. Am liebsten würde ich umfallen. Sofort und hier, mitten auf dem Fußweg. Stattdessen versuche ich, meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Wohin renne ich eigentlich? Nach Hause? Im Moment habe ich das Gefühl, gar kein Zuhause zu haben. Kevin hat es irgendwie entweiht. Er hat uns verraten. Vielleicht, weil er niemals an einem uns interessiert gewesen ist. Habe ich mir die große Liebe nur eingebildet oder gibt es eine andere Erklärung? Arbeitet er nicht in der Videothek, weil er einen besseren Job hat? Wollte er mich damit überraschen?
Ich schüttle über mich selbst den Kopf. Das ergibt keinen Sinn. Es hat so viele kleine Ungereimtheiten gegeben, die ich nicht hinterfragt habe und die nicht zusammenpassen...
Ich richte mich wieder auf und starre die Straße entlang. Sie ist so leer, wie ich mich fühle. Die meisten Fenster sind dunkel. Ein kühler Wind streicht mir übers Gesicht. Ich fange an, zu frieren, und schlinge die Arme um meinen Körper. Mein Puls rast durch meinen Körper. Ich drehe mich im Kreis, genau wie meine Gedanken.
Was bedeutet dieses Wissen für mich? Ich könnte versuchen, cool zu reagieren und Kevin darauf ansprechen. Mit Sicherheit hätte er eine Erklärung dafür, die mich trotz aller Zweifel einlullen würde. Vielleicht würde er sich sogar entschuldigen, auch wenn ich mir das nicht vorstellen kann.
Würde er noch mehr rote Rosen mitbringen? Noch mehr Rosenblätter, noch mehr Badeschaum, mehr Versprechungen? So würde es laufen. Ein paar Tage oder dieses Mal vielleicht sogar Wochen würde er sich Mühe geben, würde versuchen, meine Zweifel mit Aufmerksamkeit zu zerstreuen. Vielleicht wäre sogar der Sex besser und die Wohnung aufgeräumter.
Er manipuliert mich. Ich weiß es und lasse mich besänftigen, weil da diese Hoffnung in mir ist. Eine Hoffnung auf Liebe, auf einen Mann ganz für mich allein. Jetzt ist das alles zerstört. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem es kein Zurück gibt, ohne dass ich mich vollkommen verrate. Unsere Beziehung ist kein ausgeglichenes Konto. Ich habe immer mehr gegeben und das war auch irgendwie in Ordnung für mich. Nur jetzt ist da nichts mehr, was ich geben möchte.
Die Sicherheit, mit der dieser Gedanke durch mein Gehirn rast, macht mich fassungslos. Gleichzeitig weiß ich genau, woher er kommt. Schon eine ganze Weile ist da ein anderes Gefühl. Ein Gefühl, das immer nur kurz aufgetaucht ist, weil ich es nicht zulassen wollte. Es verursacht ein wohliges Kribbeln in meinem Bauch, eine neue Hoffnung. Keine Rosenblätter, sondern ein Feld mit Margeriten…
Meine Beine setzen sich von allein in Bewegung. Ich renne den Weg zurück. Nur diese Straße entlang, nur um diese Ecke. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. Mein Herz gibt den Rhythmus an und weist mir den Weg.
Rik ist nicht mehr da. Enttäuscht bleibe ich stehen. Aus dem Augenwinkel nehme ich eine Bewegung an
Weitere Kostenlose Bücher