MargeritenEngel (German Edition)
Pullover, obwohl Kevin ihn gehasst hat.
Er wollte ihn schon vor einer ganzen Weile in die Altkleidersammlung geben, aber ich habe ihn in mein Fach gestopft, zuerst, weil er von Kevin gewesen ist und nach ihm gerochen hat, dann weil er sehr bequem und weich ist.
Er riecht schon lange nicht mehr nach ihm. Es ist also weniger die Erinnerung an Kevin, die mich vorhin dazu gebracht hat, den Hoodie anzuziehen, sondern seine positiven Trageeigenschaften.
»Positive Trageeigenschaften...« Grinsend wiederhole ich diese beeindruckende Wortkreation, die mich selbst überzeugen und beruhigen soll. Denn eigentlich…
Es ist verrückt und bescheuert, aber ich vermisse ihn. Er hat sich kein einziges Mal bei mir gemeldet und dass er im Chat diese Dinge zu Rik gesagt hat, kann ich immer noch nicht verstehen. In meine Richtung hat er jedenfalls keinen Versuch unternommen.
Bin ich eifersüchtig deswegen? Nein, eher sauer und verletzt und wütend. Aber ich vermisse ihn auch. Wir sind so lange zusammen gewesen und von jetzt auf gleich ist er aus meinem Leben verschwunden. Ich weiß nicht, was ich machen würde, wenn er vor meiner Tür stünde. Ich weiß nicht, ob ich ihm widerstehen könnte.
Dabei schwirrt Rik die ganze Zeit in meinem Kopf herum. Ich kann es kaum erwarten, dass er nachher zu mir kommt. Zu behaupten, dass ich ihn liebe, wäre vielleicht zu viel… Ich habe Kevin geliebt. Jedenfalls habe ich das gedacht, aber die Gefühle sind einfach so verschwunden.
Am Ende ist nichts mehr übrig geblieben als unbändiger Schmerz. Ich wollte so sehr, dass es mit uns klappt, und habe dabei anscheinend alles falsch gemacht. Jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, ob ich meinen Gefühlen vertrauen kann. Aber jeder Gedanke an Rik bringt mich zum Lächeln und lässt mein Herz schneller schlagen. Anja meinte neulich, ich würde richtig strahlen.
Ich stelle den ersten Kasten auf den kleinen Tisch und reiße ein Loch in die Tüte mit der Blumenerde. Der kräftige Geruch strömt mir entgegen.
Ich kann gar nicht anders, als meine Hände hineinzustecken und die kleinen Klumpen mit den Fingern zu zerdrücken. Ich mag dieses Gefühl, einmal abgesehen davon, wie mühselig es ist, die Fingernägel wieder sauberzubekommen.
Die Sonne brennt auf meinen Rücken. Es riecht, als wenn der Pullover frisch gebügelt wird.
»Mist«, murmle ich vor mich hin und wische mir mit der Hand über das Gesicht. Meine Wangen fühlen sich schon ganz heiß an. Dabei habe ich noch nicht einmal den ersten der drei Kästen befüllt.
Ich pflanze die Margeriten ein und schnuppere vorsichtig an den weißen Blüten. So hübsch ich sie auch finde, leider können sie ziemlich unangenehm stinken. Aber ich habe Glück. Im Moment riechen sie nur nach Gras.
Als ich den Kasten in die Halterung am Balkon stecke, halte ich für einen Moment inne und betrachte die Blumen und meine schmutzigen Hände. Dann schließe ich die Augen und halte mein Gesicht in die Sonne. Kleine, orangefarbene Kreise entstehen, versetzt mit ein paar dunklen Punkten.
Endorphine durchströmen meinen Körper. Ich fühle mich seltsam befreit und glücklich. Ein Gefühl, das ich schon fast vergessen hatte. Können ein paar Margeriten, ein bisschen Sonne und Blumenerde das wirklich schaffen? Aber natürlich hat die Vorfreude auf Rik auch einen großen Anteil daran.
Als die Hitze in meinem Gesicht zu stark wird, drehe ich mich um und widme mich dem nächsten Kasten. Ich will schließlich keinen Sonnenbrand bekommen. Außerdem sollte ich mich beeilen, damit ich noch duschen kann.
Ich hätte besser nicht an Rik gedacht, denn genau in diesem Moment klingelt es. Erschrocken lasse ich den Blumentopf fallen, starre wie ein Irrer in den Kasten und halte die Luft an. Möglicherweise habe ich mich verhört. Das Klingeln könnte auch bei den Nachbarn gewesen sein.
Es dauert jedoch nicht lange, bis mich die Gewissheit einholt. Es klingelt an meiner Tür! Panisch renne ich durch die Wohnung in den Flur und drücke den Summer.
Eine kleine Hoffnung macht sich in mir breit, dass es der Postbote oder irgendein Nachbar ist, aber als ich die Tür öffne, verschwindet die Hoffnung.
»Was ist denn mit dir passiert?« Rik sieht mich an und es ist nicht zu leugnen, dass er sich amüsiert.
»Ich… habe Blumen eingepflanzt«, murmle ich, verstecke meine Hände hinter dem Rücken und gehe einen Schritt zur Seite, damit er eintreten kann. »Bist du nicht zu früh?« Meine Stimme klingt vorwurfsvoller, als sie sollte, aber es
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