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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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»Da kommen wunderbare Erinnerungen hoch.« Ich blicke sie überrascht an.
    »Na, was denkst du«, grinst sie. »Was haben wir getanzt und gesungen. Waren ja auch mal jung. Prost, Mäuschen!« Sie hebt ihr Glas, und automatisch hebe ich meines. Warum ist mir bis heute nicht aufgefallen, dass ich für Frieda, Anneliese und Doris ebenfalls das »Mäuschen« bin?
    »Seid ihr bereit?« fragt Tante Hedi von der Tür. Sie hat inzwischen die Fernbedienung für ihre Musikanlage in der Hand und lässt die Louis-Armstrong-Version von
C’est si bon
anlaufen. Nach anfänglichen Trompetenklängen durchdringt Satchmos volle Stimme den Raum, gleichzeitig tritt ein Mann ein. Nein. Kein Mann. Zunächst erscheint im Türrahmen das Bein eines Mannes. Das sehr muskulöse, zweifellos sehr junge Bein eines offensichtlich durchtrainierten Mannes. Der Rest des Körpers schiebt sich im Weihnachtsmannkostüm hinterher, und mit dem Anschwellen von Satchmos Stimme schwindet die Spannung und macht steigend guter Laune Platz. »Yeah« und »Mehr«, skandieren die ältlichen Damen an meiner Seite, und nicht zum ersten Mal erkenne ich, dass Alter eine innere Einstellung ist und nichts mit dem Körper an sich zu tun hat. Ausgelassenheit ergreift nicht nur mich, und zum ersten Mal, seitdem Tante Hedi die Zeit von vor sechzig Jahren angesprochen hat, fühle auch ich mich entspannt. Doch ein kurzer Blick ins Gesicht meiner Tante belehrt mich eines Besseren. Sie hat die Zähne sichtbar aufeinander gepresst.
    Nein, noch gibt es keine Entspannung. Im Gegenteil. Dabei hätte ich es ahnen können, hätte vorgewarnt sein müssen. Nach den Telefonaten in den letzten Wochen. Dies hier ist nie als normale Adventsfeier geplant gewesen. Dies hier verfolgte von vornherein einen bestimmten Zweck. Wenn ich nur wüsste, welchen.
    Der Weihnachtsmann macht seine Sache gut. Fließt quasi mit der Musik durch den Raum, umgarnt Anneliese, Doris und Frieda, lässt zwischendurch ein wenig Haut blitzen. Anneliese und Frieda gehen ab wie Schmitz’ Katze.
    Lediglich Doris sitzt steif und ohne ein Lächeln da. Eigenartig. Ich hätte immer gedacht, an so was hätte gerade
sie
besonderen Spaß.
    »Noch einen Prosecco?« Das Lächeln auf Tante Hedis Gesicht wirkt starr, als sie den anderen nachschenkt, doch die sind vom Stripper zu abgelenkt, um es zu bemerken. Noch hat er seinen Mantel an, lässt nur Knie und Beine blitzen.
    Ich schüttle mit dem Kopf, als sie mir nachgießen will, immerhin muss ich noch über eine Stunde Auto fahren. Aber sie schenkt trotzdem ein. »Ich hab dir das Gästezimmer zurechtgemacht«, sagt sie ohne weitere Erklärung, was mich noch mehr verunsichert. Sie holt die nächste Flasche.
    »Jetzt dürft ihr die Umschläge öffnen. Erst einen. Dann vorlesen. Und entscheiden, ob ihr das, was draufsteht, machen möchtet oder lieber die nächste Variante ausprobiert.« Der Weihnachtsmann grinst unter seinem künstlichen Bart. Was der wohl denkt?
    Frieda macht den ersten Umschlag auf.
Wenn er den Mantel auszieht, hat er nur noch einen String-Tanga an,
liest sie vor.
Jede von uns darf ihm einen Schein in den Slip stecken.
    »Den nächsten Umschlag«, johlt Anneliese und reißt prompt das zweite Kuvert auf, das einen
Gutschein für eine Fahrt ins Museumsdorf Worpswede
zutage fördert, was sie und Frieda mit einem lauten und leicht beschwipsten »so’n Scheiß« sofort beiseiteschieben. Doris schweigt, von Tante Hedi belauert. Derweil bewegt sich der Weihnachtsmann weiter zur Musik.
    Frieda liest den Inhalt des nächsten Umschlags vor. »Hier steht:
Wenn wir die im letzten Umschlag notierte Summe erraten und vorher in Scheinen in seinen Slip stecken, dann zeigt er uns seinen …
«
    Sie und Anneliese lachen wie Teenager, und wie auf Kommando zücken beide ihre Portemonnaies. »Komm schon, stell dich nicht so an«, sagen sie zu Doris, die feuerrot angelaufen ist und ein wenig nach Luft japst. »Ist doch alles nur ein Spaß!«
    Aber Doris sieht das wohl anders. »Das ist ein verdammt schlechter Scherz«, beschwert sie sich bei Tante Hedi. Mit diesem Satz kippt die Stimmung. Wo vorher Heiterkeit und latenter Sex durch den Raum wehten, lähmt uns nun Schweigen. Nur die Musik dudelt noch vor sich hin. Der Weihnachtsmann räuspert sich unbehaglich.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit, die aber wohl nicht länger als zwei Minuten dauert, sagt Tante Hedi: »Entschuldigt mich, ich bin sofort wieder da.« Sie steht auf, zieht den Weihnachtsmann am Arm und verlässt mit ihm den

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