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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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gewürzten Rotwein tropfen.
    »Das schmeckt lecker«, prostet Carmen den anderen beiden zu.
    Agnes nippt an dem süßen Wein. In ihrer Kehle brennt es. »Ich weiß nicht.« Nach dem dritten Schluck spürt sie eine aufsteigende Hitzewallung. Unauffällig wischt sie sich den Schweiß von der Stirn. Nicht unauffällig genug.
    »Sag mal«, schnarrt Beate vorwurfsvoll, »nimmst du eigentlich nicht mehr die Hormontabletten, die ich dir verschrieben habe?«
    Agnes starrt schweigend auf das Straßenpflaster. Nach und nach vermessen ihre Augen alle Steine auf dem Boden.
    »Ich hab dich was gefragt.«
    »Ich kann schwitzen, wann und wo ich will«, rebelliert es in Agnes. Die Stimme im Kopf zittert vor Wut, doch ihre Lippen bewegen sich nicht. So wie immer. Die beiden jüngeren Schwestern sind da ganz anders. Die haben stets gemacht, was sie wollten. Eine hat Medizin studiert, die andere Psychologie. Keine hat geheiratet, keine hat Kinder. Und sie? Lehramtsstudium. Germanistik und Theologie. Das ist gut vereinbar mit einer Familie, hatte ihr Vater entschieden. Agnes, das folgsame Mädchen. Siebenundzwanzig Jahre Ehe mit Uwe. Drei Söhne: Andreas, Bernhard, Cornelius. Und jetzt? Agnes allein zu Haus. Sie hält die Stellung in der geräumigen Sechs-Zimmer-Altbauwohnung. Mit vor Selbstmitleid glasigen Augen winkt sie dem Schwarzbeschürzten hinter dem Tresen zu. »Noch drei von dem Zeug.« In ihrer Stimme liegt ein versöhnlicher Klang. Eigentlich meinen ihre beiden Schwestern es doch nur gut mit ihr.
    Nach dem zweiten Becher Feuerzangenbowle erscheint Agnes die Welt deutlich freundlicher. Das schneebedeckte Dach der Marktkirche glänzt im Licht der Strahler, auf der benachbarten Bühne singt ein pudelbemützter Chor
Dreaming of a White Christmas.
Agnes wird ganz warm ums Herz.
    »Wollen wir nicht noch einen nehmen?« Agnes hält den Schwestern ihren erneut leeren Becher hin. »Der schmeckt herrlich. So klebrig süß.«
    Beate befragt heimlich ihre Armbanduhr. Halb acht. »Lasst uns lieber zum Winterwunschwald gehen.«
    »Wieso?« Agnes’ Wangen sind gerötet, und auf ihrer Stirn stehen erneut Schweißperlen. »Wir trinken den Met, bis keiner mehr steht, unser Häuptling heißt …«
    Ein Blick, ein Beschluss. Carmen und Beate haken Agnes wortlos unter.
     
    Und wie ich so strolcht’ durch den finstern Tann,
    Da rief’s mich mit heller Stimme an:
     
    Der Winterwunschwald beginnt vor dem renovierten Leibnizhaus. Tief eingesetzt ins Straßenpflaster drängen sich meterhohe Fichten um den Holzmarkt-Brunnen.
    »Ein echter Weihnachtswald«, kichert Agnes, die nach der Feuerzangenbowle ihre Abneigung gegen Weihnachten völlig vergessen hat. »Und alles ist so dunkel.« Sie macht die ersten Schritte auf dem mit Rindenmulch ausgelegten Boden. Ein moderiger und intensiver Geruch von Holz, Harz und Tannengrün steigt ihr in die Nase. Auf den Tischen aus ungehobelten Brettern flackern Kerzen in roten Gläsern. Verhaltene Weihnachtsmusik erklingt aus der Glühweinbude, untermalt vom Stimmengewirr der zahlreichen Besucher. In diesem Moment schlagen die Glocken der Marktkirche achtmal. Beate lächelt zufrieden. Sie liebt Pünktlichkeit. Entschlossen zeigt sie auf den freien Stehtisch in der Nähe des Brunnens.
    »Geht da schon mal hin. Ich hole uns Glühwein.«
     
    »Knecht Ruprecht«, rief es, »alter Gesell,
    Hebe die Beine und spute dich schnell!«
     
    Beate kommt mit drei Glühweingläsern zurück, einen Hünen mit weißem Bart und roter Mütze im Schlepptau. Breitbeinig stellt er sich zwischen Beate und Agnes.
    »Ho, ho, ho. Frohe Weihnachten allerseits«, tönt er laut.
    »Der Weihnachtsmann. Wie süß«, juchzt Carmen.
    »Genau.« Der Rotrock legt seinen Arm um Agnes und Carmen. »Wart ihr denn auch immer brav?«
    »Aber sicher doch«, kichert Agnes. Sie lehnt sich erst an seine Schulter, dann zwickt sie ihn in den Bizeps. So gut gelaunt haben die beiden Schwestern Agnes schon lange nicht mehr gesehen.
     
    »Hast denn die Rute auch bei dir?«
    Ich sprach: »Die Rute, die ist hier.«
     
    Agnes will die Augen öffnen. Vergebens. Fest verkleistert vom Schlaf haften sie zusammen. Millimeterweise hebt sie das rechte Augenlid und blinzelt. Etwas blendet. Hat sie vergessen, die Vorhänge zuzuziehen? Sie dreht sich zur Seite. Ein heftiger Stich durchfährt ihren Kopf. Noch einer. Was ist bloß los? Ihre Zunge klebt am Gaumen, fühlt sich pelzig und geschwollen an. Wasser, ein Königreich für einen Schluck prickelndes Mineralwasser.

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