Maria, Mord und Mandelplätzchen
Sie sah ihn an. Freundliche braune Augen hinter blankgeputzten runden Brillengläsern. Ein Blick, der mitten in Stefans verwundete Seele zu dringen schien. Er griff nach dem Becher, nahm einen guten Schluck. Und dann noch einen. Scheiß drauf, dachte er, und er begann zu erzählen. Wie eiskalt ihn die blöde Pute vor die Tür gesetzt hatte, eine Woche vor Weihnachten! So tat, als habe er ihr sonst was angetan! Dabei hatte er lediglich eine Investition vorgeschlagen. Er hatte nie behauptet, dass die Sache ohne Risiko war. Es gab keine Garantie bei solchen Geschäften, das wusste jeder, und trotzdem war er auf einmal der Sündenbock und an allem schuld!
Es war nicht nur der Glühwein. Es war auch ihre Art, an den richtigen Stellen zu nicken, gelegentlich entrüstet oder bedauernd mit der Zunge zu schnalzen.
All die Empörung über die Undankbarkeit brach förmlich aus Stefan heraus. Gundula hörte zu und schnalzte und nickte. Sie holte mehr Glühwein.
Das mit der Polizei war natürlich vollkommen absurd, erklärte ihr Stefan. Und doch blieb zu hoffen, dass die blöde Kuh nicht ernst machte, denn Ärger mit den Bullen konnte er wirklich nicht brauchen, zumal die Provision, die er – völlig zu Recht – für sich abgezweigt hatte, schon anderweitig investiert war. Was natürlich unter ihnen bleiben musste, so etwas erzählte er ja nicht jedem, sondern eben nur Gundula, die gerade schon wieder einen Glühwein vor ihm abstellte. Gundula, das war nämlich eine Nette, attestierte Stefan, eine Gute, eine, die nicht immer nur an sich dachte. Prost, sagte Stefan, auf dein Wohl, du bist echt in Ordnung. Und Gundula lächelte.
Und dann machte sie diesen komplett irrsinnigen Vorschlag. Stefan war voll, rotzevoll sogar, aber trotzdem gingen sämtliche Warnleuchten an. Wusste er doch, dass man den Menschen ihre Perversionen nicht immer ansah. Ihm war bewusst, dass er ein ausgesprochen attraktiver Mann war. Ein gepflegtes Äußeres gehörte in seiner Branche einfach dazu. Zwar wirkte Gundula nicht wie eine, die Männer am Glühweinstand aufgabelte. Aber das hieß ja nichts.
Kurz überdachte er die Alternativen. Eine Nacht am Hauptbahnhof, im »Bonner Loch«, eine eisige Nacht in Gesellschaft irgendwelcher Penner. Die Aussicht darauf half, seine Zweifel zu vertreiben. Was konnte schon groß passieren? Wenn ihm die alte Schachtel komisch kam, dann würde er sich schon zu helfen wissen.
Sie kam ihm nicht komisch. Quasi jungfräulich erwachte Stefan in dem alten, aber komfortablen Bett im Gästezimmer. Presslufthammer im Kopf und dort, wo einst sein Magen gewesen war, fand er nur saures Brennen. Langsam, ganz langsam kehrte die Erinnerung zurück. Er sah sich sturzbetrunken mit Gundula durch die Südstadt wanken, vorbei an prächtigen Jugendstilfassaden, geschmackvollen Weihnachtsdekorationen hinter hohen Fenstern, auf die Gundula immer wieder hinwies, während er sich Halt suchend an schmiedeeisernen Zäunen entlanghangelte. Er erinnerte sich an seine Verwirrung, als Gundula dann angehalten hatte, direkt vor so einem Haus in einer stillen Seitenstraße. Südstadtvilla, spätklassizistisch. Verkehrswert mindestens zwei Millionen, konservativ geschätzt. Da wohnte sie. Gundula. Ihr Haus war vollgestopft mit Bildern, Teppichen, antiken Möbeln und allerhand Schnickschnack. Nicht die Art Schickschnack freilich, die man bei Ikea in der großen Halle kaufte. Eher die Art, die im Schaufenster von »Art déco« lag, versehen mit absurden Preisschildern.
Leider kannte sich Stefan nicht sonderlich gut aus mit solchen Dingen. Er war ja mehr im Finanzsektor tätig, mit Antiquitäten hatte er nie zu tun gehabt.
Sie erwartete ihn am Frühstückstisch. Mit Brötchen und gekochten Eiern. Sogar eine Kopfschmerztablette lag neben dem Glas mit dem frischgepressten Orangensaft. In der Nacht hatte es wieder geschneit, mindestens fünf Zentimeter Neuschnee. Sie war gut gelaunt, plapperte und lachte. Sie liebe Schnee, sagte sie, obwohl das Schippen natürlich anstrengend war in ihrem Alter. Stefan fragte artig nach der Schneeschaufel. Und Gundula lächelte.
Als der Schnee geschippt war, rechnete er damit, dass sie ihn nun freundlich bitten würde, sich doch nach einer anderen Bleibe umzusehen. Sie tat nichts dergleichen.
Vielmehr schlug sie einen Spaziergang vor, vielleicht einen Abstecher auf den Weihnachtsmarkt, um Reibekuchen zu essen, wenn er denn Lust hatte.
Stefan versuchte zu begreifen, was hier eigentlich vorging. Gundula kam ihm
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