Mariana: Roman (German Edition)
ich nicht als einzige auf diesen Gedanken gekommen. Jeder Tisch im Schankraum war vollbesetzt, alle redeten gleichzeitig. Aus der Ecke drangen die vergnügten Geräusche einer Dartpartie, und die Luft war gesättigt mit Zigarettenrauch und dem Geruch feuchter, trocknender Kleidung.
Iain war offensichtlich direkt vom Feld hereingekommen. Er roch wie ein Schaf, das Aftershave trug. Er rückte zur Seite, um Platz an der Bar für mich zu machen, und steckte sich eine Zigarette an.
»Ich hab dich eine ganze Weile nicht gesehen«, sagte ich.
»Du solltest mich eigentlich auch jetzt nicht sehen. Auf mich warten Berge von Arbeit, aber dieser Regen bringt mich langsam um meinen verdammten Verstand, deshalb dachte ich, daß ich auf ein Glas oder zwei hereinschaue. Außerdem mußte ich meine Post abholen.«
Ich reckte den Hals, um das flache, schmale Päckchen auf dem Tresen neben seinem Ellbogen sehen zu können. »Ist das nicht die Schrift meines Bruders?« fragte ich.
Iain nickte. »Ja. Als er das letzte Mal hier war, kamen wir auf den Dichter Robert Herrick zu sprechen, und Tom versprach, mir seine Ausgabe von Herricks Werken zu schicken, damit ich mein Gedächtnis auffrischen kann. Ich schätze, das ist sie.«
»Willst du sagen, du hast es noch nicht einmal aufgemacht?« Vivien beugte sich zu uns über den Tresen, aufrichtig ungläubig. »Wirklich Iain, dir fehlt einfach die rechte Neugier. Es könnte doch noch mehr darin sein …«
»Na, dann tu dir keinen Zwang an«, forderte er sie auf, mit dem Kinn auf das Päckchen deutend. »Mach es auf, wenn du so wild darauf bist.«
»Gut, das werd ich auch.« Sie riß das Packpapier auf und zog mit einem schiefen Lächeln ein schmales Buch heraus. » Die Gedichte von Robert Herrick «, las sie laut den Titel vor.
Iain sagte nichts, aber der Ausdruck seiner Augen war eine Spur selbstzufrieden, während er eine dünne Rauchsäule ausblies.
»Ich glaube nicht, daß ich je etwas von Robert Herrick gelesen habe«, sagte ich.
Vivien hatte zur Inhaltsübersicht geblättert. »Na, das solltest du aber«, sagte sie. »Er hat unheimlich viele Gedichte über dich geschrieben.«
»Über mich?«
»Na ja, an eine Julia. Dutzende. Hier ist sogar eines über Julias Kleidung.«
»Wie faszinierend«, antwortete ich trocken und beugte mich hinüber, um einen Blick darauf werfen zu können. Vivien wandte langsam die Seiten um und überflog die Zeilen.
»Deshalb hat dein Bruder das Buch wahrscheinlich überhaupt gekauft«, vermutete sie. »Er hat dich sehr gern, nicht wahr? Oh, sieh mal, hier ist wieder eines an dich: ›Dann, Julia, laß mich dich freien, komm, oh komm zu mir, und wenn ich begegne deinen silbrigen Füßen, will ich meine Seele vor dir ergießen.‹« Sie deklamierte die Verse mit angemessener Dramatik und runzelte ein wenig die Stirn. »Was meinte er wohl mit den ›silbrigen Füßen‹?« Iain warf ihr einen trägen Blick zu. »Würde dir der Hinweis, daß sie sich bei Mondschein treffen, weiterhelfen?« fragte er.
»Ach so. Verstehe.«
»Die meisten Sachen sind wirklich schön«, bemerkte er und streckte eine Hand aus, um das Buch wieder an sich zu nehmen. »Ich habe seit Cambridge nichts mehr von Herrick gelesen. Nett von deinem Bruder, mir das Buch zu leihen.«
Ich antwortete nicht gleich. Der Ruf des Dichters nach seiner Geliebten hallte noch wie eine wirkliche Stimme in mir nach, tief und vertraut. Ich schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen, und lächelte Iain an. »Du mußt ihn ziemlich beeindruckt haben«, sagte ich. »Tom ist normalerweise sehr eigen mit seinen Büchern. Wahrscheinlich mein Fehler, wenn ich es recht bedenke – ich habe immer noch Bände von ihm im Regal, die ich mir ausgeliehen hatte, als wir noch Kinder waren.«
»Und auch das eine oder andere von meinen Gartenbüchern.«
»Mm, ja, ich weiß.« Ich nahm schnell einen Schluck Gin Tonic und lächelte entschuldigend. »Eine schlechte Angewohnheit von mir, Bücher zu horten. Bibliotheken im ganzen Land erzittern beim Klang meines Namens. Ich verspreche, daß ich dir die Gartenratgeber bald zurückbringe.«
»Hat keine Eile.« Er zuckte die Achseln. »Ich brauche sie nicht mehr sehr häufig, und dir scheinen sie von Nutzen zu sein. Der Garten sieht gut aus.«
»Hast du ihn denn in letzter Zeit gesehen?« Es klang wie ein unbefangenes Nachfragen.
»Vor zwei Tagen.«
»Oh. Es tut mir leid, daß die Tränenden Herzen kaputtgegangen sind«, sagte ich, aber Iains Reaktion war
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