Mariannes Traenen
ich?“, fragte Marianne und sah ihn an.
Doch Walter wich ihrem Blick aus. Hilfesuchend sah er zu Gunther. „ Herr!“, rief er leise. „ Mein Gebieter! “
Marianne stand eine Weile vor ihm. Sie hielt sich die Augen und rieb ihre Stirn. Plötzlich mußte sie lachen. Sie konnte einfach nicht anders. Das Lachen brach laut und schallend aus ihr heraus. Walter schrie sie wutentbrannt an. Aber die Vorstellung, daß es die Eifersucht dieses menschlichen Trümmerhaufens vor ihr war, die ein durch und durch schlechter Mensch so einfach benutzen konnte, um ihr die schlimmste und würdeloseste Zeit ihres Lebens zu bereiten, daß am Ende so wenig dahinter stand – es erschien ihr alles so trivial und zugleich absurd, daß sie in einen Sessel sank und Tränen lachte.
Irgendwann saß sie da. Elegant und ruhig. Sie schaute sich in dem Zimmer um. Und mußte unwillkürlich an einen Science Fiction denken. Maschinenmenschen hatten sie und diesen Raum assimiliert. Und Maschinenmenschen hatten sie und ihre Tochter darin zu verstümmeln versucht. Nicht am Leib, aber ihre Seele wollten sie zerstören. Wollten sie genauso herzlos und tot machen, wie sie es selbst waren. Sie sah Walter, einen wunderschönen Mann, den sie aufrecht begehrt hatte, dem sie sich hatte hingeben wollen. Und der in seinem Inneren hohl war und faul. Zerfressen von einem kranken Haß auf alles, was weiblich war. Daß Gunther ihn Svenja zum Fraß vorgeworfen hatte, erschien ihr doppelt ironisch. Wie hatte Rudolf ihr geholfen? Du tust es für mich. Nein, es mag gleich aussehen, dachte sie. Aber es ist nicht dasselbe. Und ein seelenverkrüppelter Oberstaatsanwalt hatte versucht, seinen Sohn an ihr mit dem Gift in seinem Herzen zu infizieren. Der Junge tat ihr leid. Und dann war da der Bürgermeister – am Ende eine Witzfigur. Wie hatte sie jemals Respekt und sogar Freundschaft für so einen Mann empfinden können? Es erschien ihr, als würde sie aus einem langen Schlaf erwachen. Als wäre sie die Protagonistin eines anderen phantastischen Films. Nichts würde jemals wieder so sein können, wie es war. Sie hatte die falsche Kapsel geschluckt. Und sie lachte erneut darüber, daß es vierundvierzig Jahre gedauert hatte, bis sie endlich ihre Unschuld verlor.
Und Rudolf?
Sie wollte nicht daran denken. Sie war sich über ihre Gefühle nicht im Klaren. Aber hatte er ihr nicht genau das vorhergesagt? Und es für sich selbst zugegeben? Sie war erleichtert, daß in dem Moment die Tür ging und Rudolf und Konrad zurückkamen. Rudolf hatte zwei Trainingsanzüge in der Hand, die er auf den Boden warf. Konrad schwenkte triumphierend eine Plastiktüte in der Hand. „Rudolf hatte recht: Er hatte das Material in seinem Wagen versteckt.“
Gunther stöhnte laut unter dem Klebeband auf, als er das hörte.
Rudolf trat vor ihn. „Ihr bekommt von uns diese beiden Trainingsanzüge, zweihundert Euro und die Wagenschlüssel. “ Er sprach ruhig, sachlich und geschäftsmäßig, ohne ein Zeichen von Erregung oder Gefühl in seiner Stimme. „Ihr verlaßt die Hoch-Tannau sofort, ohne irgendwo zu halten, ohne zu packen, ohne mit irgend jemand zu reden. Ihr fahrt weg und laßt euch hier nie wieder blicken. Wir haben euer Material. Und wir haben mehr als das.“ Er sah kurz zu Marianne, dann wandte er sich wieder Gunther zu. „Ich habe alles, was seit Donnerstag vergangener Woche hier im Zimmer passiert ist, mitgeschnitten.“ Und leise fügte er hinzu: „Auch alles, was sich heute hier ereignet hat. Und glaub mir, es genügt, euch hochgehen zu lassen als hättet ihr jeder eine Stange Dynamit in euren Arschlöchern stecken.“ Er trat zu Walter und machte ihn los. „Zieh dich an. Dann darfst du ihn losketten, anziehen und mit ihm wegfahren. Hier sind die Schlüssel, und hier die zweihundert Euro für Benzin.“ Er warf beides auf den Boden.
„Aber … wo sollen wir denn …“ Walter rieb sich die Handgelenke.
„Ganz ehrlich? Das ist mir scheißegal.“ Rudolf zuckte mit den Achseln. „Überall, aber nicht hier. Fahrt nach Teplice. Dort habt ihr doch ein Bordell.“
Als die zwei unter Konrads Eskorte das Zimmer verlassen hatten, trat Marianne zu Rudolf. „Ist es richtig, sie einfach so gehen zu lassen?“, fragte sie. „Er hat immer noch Frauen und Mädchen in seiner Gewalt.“
„Ich weiß “, sagte Rudolf.
„Wir müssen ihnen helfen !“, sagte Marianne bestimmt.
Doch Rudolf schüttelte den Kopf. „Marianne! Das ist ein Schlangennest. Organsiertes Verbrechen. Ich
Weitere Kostenlose Bücher