Mariannes Traenen
hatte. Obwohl sie sich nicht körperlich müde fühlte. Aber ihr Kopf war seltsam leer, jeder Antrieb erloschen. Sie stand auf und bemerkte, daß Svenjas Blicke ihr folgten. Doch sie schaute nur verloren in ihre Wohnung. Auf dem Couchtisch lagen Rudolfs Fesseln. Ihre Fesseln. Wie im Traum ging sie darauf zu, hob sie auf und barg sie schützend an ihrer Brust. Nein, diese nicht.
„Ich trage bereits Fesseln “, hörte sie Svenja sagen und wandte sich um.
Jetzt erst registrierte sie, daß Svenja außer ihren Schuhen nichts anders zu tragen schien, als einen Trench und ein weites Halstuch. Sie war ebenfalls aufgestanden, und Marianne sah d as lederne Band aus einem hoch gerutschten Ärmel hervorlugen. Auch an den Fußgelenken trug sie schwere, schwarze Fesseln.
„Ich trage bereits Fesseln “, wiederholte Svenja leise. „Ich weiß, eigentlich habe ich kein Recht, dich darum zu bitten. Aber ich tue es trotzdem: Marianne, bitte bestrafe mich, auch wenn du mir nicht verzeihst.“ Für einen Moment rang sie nach Worten. „Um unserer Freundschaft willen.“ Sie schloß die Augen und Tränen rannen ihr über die Wangen. „Ich weiß. Auch die habe ich zerstört. Und deine Apelle verhöhnt. Trotzdem …“
Marianne nickte. „Gut “, sagte sie endlich. „Gut. Gehen wir.“
„Danke!“
„Danke mir lieber nicht. Ich …“ Marianne überlegte. „Komm!“, befahl sie schließlich leise und ging voraus. Die Fesseln hielt sie weiter an ihre Brust gedrückt; als halte sie sich daran fest.
„Bitte, ich schäme mich. Würdest du mir bitte die Augen verbinden?“
Marianne sah sich hilflos um.
„An der Wand hängen Augenklappen“, half ihr Svenja. Sie kniete mitten im Zimmer, die Hände hoch angekettet.
Wie im Traum ging Marianne zu der Utensilien-Sammlung, die ihr mit einem M al so völlig unwirklich vorkam, und ließ suchend ihren Blick darüber gleiten. Doch sie konnte nichts Geeignetes finden, weil ihre Gedanken ganz woanders waren.
„Ganz rechts “, assistierte Svenja.
Marianne nahm etwas vom Haken. Ein Band mit Schnalle, dazwischen zwei Lederflecken. Damit ging sie zurück zu Svenja und legte es ihr unbeholfen um. Zuerst rutschte das Band beim Verschließen der Schnalle über Svenjas wallendem Haar immer nach unten, und die Augenklappe glitt dann über ihre Nase. Mit einiger Mühe gelang es Marianne, das Band schließlich hinter Svenjas Ohren zu legen, so daß die Klappe hielt. Nun stand sie unschlüssig da und wog die schwere, rotbraune Hundepeitsche in ihrer Hand. Wie oft hat sie mich damit geschlagen? Wie oft haben Fremde es getan? Sie schüttelte heftig den Kopf, wie um sich selbst aus ihrer Versunkenheit zu wecken. Unvermittelt holte sie aus und schlug zu.
Sie hatte Svenja hart getroffen, wie deren Aufschrei verriet. Sofort unterlief die Stelle, an der die Peitsche ge landet war, in tiefem Dunkelrot. Marianne sah es, und es war ihr dabei, als ginge sie das Ganze gar nichts an. Kraftlos ließ sie die Peitsche erst sinken, dann zu Boden fallen.
Es ging nicht. Sie konnte es nicht tun. Sie konnte eine Frau nicht auspeitschen, selbst wenn diese sie inständig darum gebeten hatte.
„Ich kann es nicht“, sagte sie leise. „Es tut mir leid, aber ich kann das nicht.“
Svenja weinte.
Hilflos drehte Marianne sich in die Richtung, wo sie eine der Kameras vermutete. Und winkte mit einer Hand, wie man jemand zuwinkt, den man sprechen möchte. Bevor sie ihre Stirn darin vergrub. Es dauerte keine zehn Sekunden, bis sie die Tür gehen und jemand hereinkommen hörte. Schnell zog sie Svenja die Augenklappen vom Kopf. Sie sollte wissen, was geschah.
Rudolf und Konrad blieben in einigem Abstand stehen.
„ Oh Gott!“, flüsterte Svenja und preßte ihre Augenlider zusammen.
„Rudolf!“ Marianne winkte ihn zu sich, doch er rührte sich nicht.
„Rudolf, bitte, ich kann es nicht. Du muß es tun.“
Rudolf schwieg.
„Rudolf bitte, hilf mir, es zu beenden.“ Hilfesuchend schaute sie ihn an.
„Beenden?“, fragte Konrad. „Was beenden?“
Doch Marianne wandte sich an Rudolf. „Weißt du noch am ersten Abend, als du mich gefunden hast?“
„Im Pferdestall? Als sie dich auspeitschen wollte?“
Marianne nickte. „Würdest du uns bitte dabei helfen, die ganz Sache zu m Ende zu bringen?“ Und auf seinen fragenden Blick hin erklärte sie: „Es muß sein. Sie ist kurz davor, den Verstand zu verlieren.“ Sie zögerte einen Moment. „Und ich bin es auch“, fügte sie leise hinzu.
„ Ich soll sie in
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