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Mariannes Traenen

Mariannes Traenen

Titel: Mariannes Traenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas M.
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sie in dem Moment mehr tun können als Jammern? Und jammern wollte sie nicht.
    „Ich weiß, das klingt unverschämt“, erklärte Svenja. „Und vermutlich ist es das auch. Aber ich …“ Sie atmete tief aus und sank für einen Augenblick lang in sich zusammen, ließ ihre Schultern hängen. „Ich habe jetzt zwei Tage lang die Wände angeschrieen. Nein, bitte … ich will kein Mitleid“, unterbrach sie einen vermuteten Einwand Mariannes. „Ich mag unverschämt sein, und sehr wahrscheinlich auch dümmer, als die Polizei erlaubt. Aber so dumm …“ Sie atmete tief durch. „So dumm bin ich dann auch wieder nicht.“
    „Was willst du dann ?“, fragte Marianne in die entstehende Pause hinein.
    Svenja schüttelte unschlüssig den Kopf. „Ich kann es niemand erklären, ich kann mit niemand reden, ich kann mich nicht entschuldigen – es ist, als wäre ich Luft. Ich werde noch nicht einmal dafür bestraft …“ Sie schaute Marianne an. „Konny behandelt mich, als wäre ich unsichtbar. Wenn er mich halb totschlagen würde, würde ich mich besser fühlen als so.“ Sie wandte ihren Blick zum Fenster und schaute nachdenklich hinaus. Schließlich nickte sie, als hätte eine unhörbare Stimme ihr die Lösung vorgeschlagen, die sie zu suchen schien. „Ja“, sagte sie wie abwesend. „Ich glaube, das will ich.“
    „Was willst du?“, fragte Marianne.
    Svenja sah sie an. „Daß ihr mich wenigstens bestraft.“ Sie schwieg eine Sekunde, bevor sie fortfuhr. „Als der Steiner mich verprügelt hat, das war schlimm, aber irgendwie …“ Sie holte tief Luft.
    „ Ich möchte, daß du mich schlägst. “
    Sie schloß die Augen. „Daß ihr nicht mit mir darüber reden wollt, das respektiere ich. Mir ist sehr wohl bewußt, daß ich keine Möglichkeit habe, es ungeschehen zu machen, und daß es unverzeihlich war. Aber wenn du – oder Rudolf – oder wer auch immer – wenn ihr mich wenigstens schlagen würdet, dann … dann … könnte ich es wenigstens irgendwie …“ Sie sah Marianne an. „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll …“
    „Dann könntest du es wenigstens beenden ?“, fragte Marianne.
    Ohne daß sie es sich selbst hätte schlüssig erklären können, verstand sie doch in diesem Moment die Frau vor ihr. Es ging weder um Mitleid noch um Vergebung. Aber Marianne konnte es dennoch verstehen. Wie hätte ich mich gefühlt, wäre Rudolf nicht dagewesen? Ich konnte mit ihm reden, und er hat mir geholfen, mich zu unterwerfen und alles zu ertragen.
    Svenja nickte stumm.
    „Du bist kurz vor einem Dachschaden“, stellte Marianne fest.
    „ Ja, ich … es stimmt, ich drehe gerade durch, ich … Ich vergehe vor Scham! “
    Marianne nickte. „Das kenne ich.“
    Svenja schlug die Hände vors Gesicht. „ Oh Gott!“, stöhnte sie. „ Was habe ich nur getan … “
    Im ersten Impuls wollte Marianne auch diese Frage mit einer zynischen Antwort erwidern, ließ es aber bleiben. Was hätte es gebracht? Svenja war bereits so tief unten, was hätte es also gebracht?
    „Du möchtest, daß ich dich auspeitsche ?“, fragte sie stattdessen.
    Svenja nickte, ohne ihre Hände vom Gesicht zu nehmen. „Alles “, stöhnte sie. „Nur nicht länger … Luft! “
    Für eine Minute verharrte Marianne in dem innigen Wunsch, die Augen schließen zu können, und da nn wäre einfach alles gar nicht wahr. Sie fühlte sich so leer, daß sie nicht einmal mehr darüber nachdenken konnte, was sie nun antworten oder tun wollte. Sie saß nur da und schwieg. Dabei fühlte sie sich zugleich seltsam unbeteiligt.
    „ Marianne!“ Svenjas Atem ging schwer. „Ich habe dir wirklich jeden Grund gegeben, mich zu hassen. Jetzt bitte ich dich, mich dafür zu schlagen. Weil ich sonst verrückt werde. Deswegen bin ich hergekommen. Die anderen kann ich nicht darum bitten. Rudolf hätte keinen Grund, und Konny und Kathrin ignorieren mich. Sonst kann ich zu keinem gehen. Also bitte ich dich, Marianne. Geh mit mir nach oben, binde mich fest und peitsche mich aus. So hart und so lange, wie du willst.“ Endlich hob sie ihren Blick. „Würdest du das tun?“
    Es bedurfte einer großen Willensanstrengung, darauf zu reagieren. Marianne fühlte sich wie Blei, grau und unendlich schwer. Sie verstand, daß Svenja kurz davor war, den Verstand zu verlieren. Ihre Isolation war schlimmer als die Mariannes während der Zeit ihrer Sklaverei. Aber war sie schon so weit, einen Schlußstrich zu ziehen? Seit dem Morgen wunderte sie sich, wieso sie keine Energie mehr

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