Mariannes Traenen
Rudolf, bitte … nicht …“ Sie wollte nicht, daß er sie so anfaßte. Doch er ließ sich nicht beirren, sondern wusch sie lange und ausgiebig mit warmem Wasser und Seife. Und kundigen, sanften Händen.
„Hab keine Angst “, sagte er. „Dieses Schwein wird dich nie wieder sehen. Und wird dich erst recht nie wieder anfassen. Du hast mein Wort darauf!“
„Aber wie …“ Marianne kauerte vor ihm in der Wanne und sah flehend zu ihm auf.
„Frag nicht. Vertrau mir. Er wird seine Drohung nicht wahrmachen können.“ Er half ihr, sich in die Wanne zu setzten. „Und er wird teuer für das bezahlen, was er dir angetan hat . Sehr teuer!“ Er ließ den warmen Wasserstrahl über sie gleiten und wusch sie wie schon am Vortag sorgfältig von Fuß bis Kopf.
Sie lag in seinem Bett, angetan mit einem seiner Pyjamas, der ihr viel zu groß war. Er hatte sie zugedeckt und hielt sie in seinen Armen, doch sie zitterte. Ihre schönen, großen, braunen Augen starrten verloren ins Leere. „Er hat mich … er will mich …“, versuchte sie zu sprechen, doch er ließ es nicht zu. „Ich habe schrecklichen Durst“, klagte sie leise. Sofort sprang er auf und eilte zur Minibar. Sie drehte sich um, rollte sich zusammen und schaute ihm hinterher. Er kam zurück mit einem Glas Orangensaft. Gierig schluckte sie, als er ihn ihr einflößte und ihren Kopf dabei hielt. Er nahm sie wieder in den Arm. Sie schloß die Augen.
„ Rudolf“, flüsterte sie.
„Hab keine Angst !“, sagte er. „Den siehst du nie mehr wieder. Und er wird bezahlen. So teuer, daß er es in seinem Leben nicht vergessen wird.“
„Aber wie …“
Er schüttelte den Kopf. „Vertraust du mir?“
Sie nickte; zuerst zögernd, dann heftig.
„Du bist ziemlich durch den Wind ?“, fragte er, und sie hörte die Besorgnis aus seiner Frage. „Verlierst du gerade ein bißchen den Verstand?“
Marianne mußte unwillkürlich lachen. „Ja “, antwortete sie. „Ich glaube, ich werde gerade etwas hysterisch!“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich … Das wirst du nicht glauben … Weißt du, was ich gerade am liebsten möchte?“ Sie wartete nicht ab. „Daß du mich schlägst. Daß du mich auspeitschst, bis ich zusammenbreche …“ Ihr Lachen wurde lauter, paßte längst nicht zu ihrem schmerzverzerrten Gesicht, bis sie schrie. Urplötzlich ging es über in ein Schluchzen und endlich lag sie an seiner Brust und heulte aus Leibeskräften. Alle Dämme waren mit einem Mal gebrochen, und sie konnte sich nicht mehr beruhigen. Er hielt sie fest in seinen Armen und versuchte, sie zu trösten. Das war das letzte an diesem Tag, an das sie sich erinnern konnte.
Als sie aufwachte, lag sie in ihrem eigenen Bett. Rudolf war da. Sie trug immer noch seinen Pyjama, der so groß war, daß sie sich zweimal darin hätte einwickeln können. Wie groß er doch war. Und wie lieb. Aber wie um alles in der Welt war sie in ihre Wohnung gekommen? Hatte er sie herunter getragen? Sie rollte sich zusammen und betrachtete ihn aus ihrem Versteck unter der Decke heraus. Er richtete das Frühstück, schweigend, wie es seine Art war. Und es gefiel ihr, ihm dabei zuzuschauen. Sie liebte die Art, wie er sich bewegte. Er war nicht gerade ein schöner Mann. Jedenfalls nicht im landläufigen Sinne. Schon gar kein Beau. Aber es ging etwas durch und durch Maskulines von ihm aus. Er hatte sie aufgefangen. Hatte sie gewaschen. Unwillkürlich faßte sie an ihren Hintern. Sie war sauber. Alles fühlte sich so an, als wäre nichts geschehen.
„Guten Morgen, Marianne “, begrüßte er sie, ohne sich von den Omeletts abzuwenden, die er gerade zubereitete.
Hatte er hinten Augen? Benommen richtete sie sich auf. Ihr Rücken schmerzte.
„Ich habe die Striemen versorgt“, rief er ihr zu. „Diese Drecksau hat mit voller Kraft zugeschlagen. Ich fürchte, die Spuren werden den Rest der Woche sichtbar sein.“
Was war heute für ein Tag? Sie hatte das Zeitgefühl verloren. Was soll’s, dachte sie, es kommen sicher noch Spuren dazu.
„Sag das bitte nicht.“ Er setzte die Teller mit den Omeletts auf den Tisch, kam zu ihr und setzte sich auf die Bettkante. Er streichelte ihre Wange und lächelte. Jetzt hat er wieder seine blauen Augen, sein warmes Gesicht, dachte sie.
„Habe ich gesprochen ?“, fragte sie erschrocken.
Er lachte. „Immer noch nicht ganz da, was?“ Plötzlich wurden seine Augen wieder ernst. Stahlgrau. „Es tut mir leid, daß du da durchmußtest, Marianne. Aber sei dir sicher, es war
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