Marissa Blumenthal 02 - Trauma
sagen also, Sie hätten mit eigenen Augen gesehen, wie der Hai die arme Frau am Oberkörper gepackt hat?« fragte Mr. Griffiths, Inspektor der Königlich-Australischen Polizei.
Marissa und Rafe standen vor der brusthohen Schranke in der Polizeistation von Hamilton Island. Nachdem sie Wynn ins Krankenhaus gebracht hatten, waren sie geradewegs dort hingegangen.
»Ja«, antwortete Marissa. Noch immer hatte sie das grausige, tragische Geschehen vor Augen, und ihre Knie waren weich.
»Und Sie haben Blut gesehen?« fragte der Inspektor weiter.
»Ja, ja!« rief Marissa. Tränen rannen ihr über die Wangen. Rafe legte ihr fürsorglich den Arm um die Schulter.
»Und danach gingen Sie noch einmal ins Wasser und suchten die Gegend ab?« fragte Mr. Griffiths.
»Ja, so war es«, antwortete Rafe. »Aber Sie müssen bedenken, da war schon eine Stunde vergangen. Miß Blumenthal und ich sind zurückgeschwommen und haben alles abgesucht. Wir haben aber nichts gefunden. Nicht die geringste Spur. Aber mein erster Maat hat mir erzählt, es sei der größte Hai gewesen, den er je gesehen habe, wahrscheinlich acht, neun Meter lang.«
»Und das hier ist der Paß der Frau?« fragte Mr. Griffiths.
Marissa nickte. Sie hatte den Paß aus Wendys Tasche genommen.
»Schlimme Sache«, sagte Mr. Griffiths. Er blickte Marissa über den Rand seiner Lesebrille an und fuhr fort: »Wären Sie bereit, die nächsten Angehörigen zu benachrichtigen? Es ist wohl besser, wenn sie es von einer befreundeten Person erfahren.«
Marissa nickte und wischte sich die Tränen ab.
»Wir werden eine Verhandlung für den Coroner ansetzen«, sagte Mr. Griffiths. »Möchte jemand von Ihnen noch etwas sagen?«
»Ja«, antwortete Marissa und holte tief Luft. »Die Haie wurden durch Fischabfalle angelockt, die man absichtlich ins Wasser geschüttet hat.«
Mr. Griffiths nahm die Brille ab. »Was wollen Sie damit andeuten, junge Frau?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob Wendys Tod ein Unfall war«, sagte Marissa.
»Das ist eine schwerwiegende Anschuldigung«, sagte Mr. Griffiths.
»Es war noch ein Mann auf dem Boot, ein Asiate«, sagte Marissa.
»Er ließ sich aber erst blicken, als wir draußen auf dem Riff und schon im Wasser waren. Nachdem ich eine Zeitlang getaucht hatte, schwamm ich zum Boot zurück und wurde zufällig Zeuge, wie er und ein anderer Fischköder ins Wasser schütteten.«
Mr. Griffiths schaute Rafe an. Der hob die Augenbrauen. »Ja, wir hatten noch einen chinesischen Kunden an Bord«, gab er zu. »Hat sich als Harry Wong vorgestellt. Er hat das Boot gechartert und wollte am Außenriff fischen. Dort traf er sich mit einem Freund, der im Motorboot ankam. Sie hatten eine Menge Köder mit. Als ich zum letztenmal mit ihnen sprach, sagten sie, sie wollten mit dem Motorboot weiterfahren und Merline fischen. Anscheinend haben sie sich dann anders besonnen, auf das Fischen verzichtet und in ihrer Unwissenheit die Köderfische einfach ausgekippt.«
»Ich bin nicht davon überzeugt, daß es aus Unwissenheit geschah«, sagte Marissa.
»Nun, dafür haben wir ja die Coroner-Verhandlung«, sagte Mr. Griffiths. »Dort ist Gelegenheit, alle Einzelheiten zu erörtern.«
Marissa merkte, wie sie rot wurde. Sie konnte sich aber noch so weit beherrschen, um nicht loszuschreien. Dann sprach sie ihren Verdacht aus. Sie sagte Mr. Griffiths, daß der Asiate mit dem Mann identisch sein könne, der Wendy und sie am Abend zuvor in einem Restaurant des Hamilton Island Resort angestarrt habe.
»Ich verstehe«, sagte Mr. Griffiths und spielte mit dem Federhalter.
»Nun, ich kann begreifen, daß Sie sehr erschüttert sind. Wenn das für Sie ein Trost ist, so kann ich Ihnen persönlich versichern, daß wir diesen tragischen Vorfall ausgiebig untersuchen werden.«
Marissa wollte noch mehr sagen, unterließ es aber lieber. Sie war sich selbst nicht mehr sicher. Erst jetzt, als sie es ausgesagt hatte, war ihr eingefallen, daß der Asiate auf dem Boot mit dem im Hotelrestaurant identisch sein könnte. Außerdem war ihr nicht entgangen, daß der Polizeiinspektor sie reichlich von oben herab behandelte. Sie hatte den bestimmten Eindruck, daß er ihr nur zum Munde redete.
»Wenn im Augenblick weiter nichts vorliegt«, sagte Mr. Griffiths,
»können Sie beide gehen. Aber wir möchten Sie bitten, die Insel nicht zu verlassen. Wir nehmen dann morgen wieder mit Ihnen Verbindung auf. Ich kann Ihnen außerdem versichern, daß wir in der fraglichen Gegend eine ausgedehnte
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