Marissa Blumenthal 02 - Trauma
Suchaktion nach den sterblichen Überresten von Mrs. Wilson-Anderson veranlassen werden.«
Gemeinsam verließen Marissa und Rafe die Polizeistation. Rafe brachte sie noch ins Hotel. Bevor er sich im Foyer von ihr verabschiedete, sagte er nach einem Augenblick des Zögerns: »Es tut mir aufrichtig leid, daß so was geschehen mußte. Wenn ich noch etwas für Sie tun kann, solange Sie sich hier aufhalten, kommen Sie bitte zur Oz!“
Marissa bedankte sich und begab sich dann in ihr Zimmer. Als sie die Tür geschlossen hatte und Wendys Sachen erblickte, brach sie wieder in Tränen aus.
»Ich kann es immer noch nicht glauben«, sagte sie eine halbe Stunde später mit erstickter Stimme. Ihr Schluchzen war abgeklungen. Sie stand vom Bett auf, holte Wendys Koffer und packte alle ihre Sachen ein. Bei dieser Beschäftigung ließ sie im Geist noch einmal alles Revue passieren, was in den vergangenen Monaten vorgefallen war. Die Folgeerscheinungen ihrer Unfruchtbarkeit schienen allmählich schreckliche und tragische Ausmaße anzunehmen.
Dann stellte sie Wendys gepackten Koffer in eine Ecke des Kleiderschranks und setzte sich wieder auf die Bettkante. Minutenlang betrachtete sie scheu das Telefon, ehe sie den Mut fand, den Hörer abzunehmen.
Sie wählte ihre häusliche Nummer in Weston. Es läutete zweimal, bis Robert sich mit schläfriger Stimme meldete: »Hallo?« Da erst fiel Marissa ein, daß es in Boston kurz nach zwei Uhr nachts war.
»Robert«, sprudelte sie hervor, »es ist etwas Schreckliches passiert.« Doch ehe sie weitersprechen konnte, brach sie in einen hysterischen Weinkrampf aus. Es dauerte fünf Minuten, bis sie sich so weit gefaßt hatte, um ihm von Wendy zu berichten.
»Mein Gott!« sagte Robert.
Marissa erzählte ihm dann von ihrem Verdacht, daß Wendys Tod kein Unfall gewesen, sondern absichtlich herbeigeführt worden sei.
Zuerst antwortete Robert nicht. Dann wies er genau wie der Polizeiinspektor daraufhin, daß sie einen schrecklichen Schock erlitten habe. »Nach so einem Erlebnis kann einem die Einbildung die merkwürdigsten Streiche spielen«, sagte er. »Es kann leicht sein, daß du hier Schuldige vermutest, wo gar keine sind. Auf jeden Fall mußt du dich erst mal beruhigen. Denk nach Möglichkeit nicht mehr daran!«
»Kannst du herkommen?« fragte Marissa plötzlich.
»Nach Australien?« sagte Robert. »Ich meine, du solltest lieber nach Haus kommen.«
»Aber die Polizei hat doch gesagt, ich soll vorläufig die Insel nicht verlassen«, wandte Marissa ein.
»Die Formalitäten können nicht länger als ein, zwei Tage dauern«, sagte Robert. »Und ich würde schon zwei Tage brauchen, um dorthin zu kommen. Außerdem kann ich im Moment schlecht hier weg. Es ist nur noch eine Woche bis zum 15. April, und du weißt, was das heißt: die Steuererklärung. Es ist für dich auch besser, wenn du so schnell wie möglich nach Haus kommst.«
»Ja, sicher«, sagte Marissa. Ihre Stimme hatte jeden Klang verloren. »Ich verstehe.«
»Soll ich Gustave anrufen?« fragte Robert.
»Wenn du willst«, sagte Marissa. Aber dann besann sie sich anders.
»Ich hab mir’s überlegt«, sagte sie dann. »Vielleicht sollte ich das lieber tun. Gustave wird wohl sowieso noch mit mir sprechen wollen.«
»In Ordnung«, sagte Robert. »Sobald du weißt, wann du hier eintriffst, rufst du mich an!«
Marissa legte den Hörer auf. Jetzt mußte sie Gustave anrufen. Noch nie war ihr ein Anruf so schwer gefallen. Sie überlegte, was sie sagen sollte. Aber wie sollte sie ihm die Nachricht vorsichtig beibringen? Das war unmöglich. Schließlich nahm sie den Hörer ab und wählte.
Gustave meldete sich nach dem ersten Läuten. Bestimmt war er als Chirurg daran gewöhnt, mitten in der Nacht geweckt zu werden. Es hörte sich so an, als hätte er noch gar nicht geschlafen. Doch Marissa hatte das bestimmte Gefühl, daß sie ihn geweckt hatte.
Sie kam sofort zur Sache und erzählte Gustave genau, was sich abgespielt hatte. Sie brachte es sogar fertig, die Tränen zurückzuhalten, bis sie den gesamten Tagesablauf geschildert hatte.
Am anderen Ende der Leitung, viele Tausend Kilometer entfernt, herrschte bedrücktes Schweigen.
»Gustave stimmt was nicht?« fragte Marissa mit brechender Stimme.
Nach einer Pause sagte Gustave: »Ich… ich glaube, es geht schon wieder. Es ist… nur einfach nicht zu glauben. Aber Wendy war ja beim Tauchen immer etwas tollkühn. Wo befinden sich ihre Sachen?«
»Ich habe sie gepackt«, sagte Marissa.
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