Marissa Blumenthal 02 - Trauma
habe. Aber wenigstens haben wir Tristan Williams jetzt gefunden.«
»Heureka!« rief Wendy. »Ist er hier in der Gegend?«
»Alles ist relativ«, sagte Marissa. »In Perth ist er jedenfalls nicht. Er ist irgendwo draußen im australischen Outback. Anscheinend hat er die Pathologie aufgegeben, oder die Pathologie hat ihn aufgegeben. Er arbeitet jetzt als fliegender Arzt, der seine Visiten in einsamen Orten macht, wie zum Beispiel auf Rinderstationen.«
»Für einen Mann, der gefälschte Daten in einem Fachartikel verwendet, hört sich das recht romantisch an: ein Samariter-Job!«
Marissa nickte. »Sein Standort ist eine Stadt, die sich Charleville nennt und ungefähr 650 Kilometer von hier entfernt liegt. Aber er ist meist wochenlang unterwegs. Es würde ein harter Brocken werden, ihn zu finden. Was meinst du?«
»Sehr viel Mühe um zweifelhaften Lohn. Das müssen wir uns noch überlegen. Aber jetzt haben wir uns erst mal eine Erholung von all diesen Anstrengungen verdient. Fliegen wir zum Tauchen! Vielleicht bringen wir danach wieder die nötige Begeisterung auf.«
»Okay«, sagte Marissa und stand auf. »Du hast viel Geduld bewiesen. Wollen mal sehen, ob dieses Barriereriff wirklich so großartig ist!«
Am Verwaltungsgebäude bekamen sie ein Taxi und ließen sich ins Hotel zurückfahren. Dort nahmen sie ihre Travellerschecks und gingen damit in das Reisebüro, das Wendy tags zuvor aufgesucht hatte.
Es war kein Problem, für den nächsten Tag einen Flug zu buchen, obwohl es das Wochenende war. Sie konnten sich auch gleich ein Zimmer im Hamilton Island Resort reservieren lassen. Die Dame im Reisebüro rief dort sogar an, um sich zu vergewissern, daß es ein Zimmer mit Meerblick war.
Danach fragte Wendy sie: »Wie organisiert man da am besten eine eintägige Tauchtour?«
»Sie können sich das vom Hotel vermitteln lassen«, sagte die Angestellte. »Das macht am wenigsten Mühe. Aber offen gesagt, ich würde an Ihrer Stelle damit warten, bis Sie dort sind. Dann können Sie sich auf eigene Faust ein Boot mieten. Es gibt da einen ziemlich großen Jachthafen mit vielen Fischerund Tauchbooten. Da zur Zeit nicht viel los ist, können Sie den Preis auch runterhandeln. Dann kommen Sie viel besser weg.«
Wendy sammelte die Tickets und Broschüren ein. »Das hört sich ja toll an«, sagte sie. »Wir werden Ihren Rat befolgen. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Gern geschehen«, sagte die Angestellte. »Aber eine Warnung möchte ich Ihnen noch auf den Weg mitgeben.«
Marissas Herz setzte für einen Schlag aus. Sie hatte ja gleich Bedenken gehabt, in exotische Tiefen zu tauchen.
»Was für eine Warnung?« fragte Wendy.
»Vor der Sonne«, sagte die Angestellte. »Vergessen Sie ja nicht, sich gründlich einzuölen!«
Jetzt mußte Marissa lachen.
»Danke für den Tip«, sagte Wendy, nahm Marissa am Arm und steuerte auf die Tür zu.
Die Dame vom Reisebüro wandte sich dem nächsten Kunden zu.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?« Der Kunde war ein Australier mit lederartigem Teint. Die Angestellte schätzte ihn als Mann aus dem Outback ein. Während die beiden Amerikanerinnen ihre Pläne entwickelten, hatte er rechts vom Ladentisch über einem Gestell mit Broschüren von Europareisen gebrütet. Sie waren gleichzeitig gekommen, und die Angestellte hatte ursprünglich angenommen, die drei gehörten zusammen.
»Ja, bitte«, sagte der Mann. »Ich brauche zwei Hinund Rückflüge nach Hamilton Island. Auf die Namen Edmund Stewart und Willy Tong.«
»Brauchen Sie auch Hotelzimmer?« fragte die Angestellte.
»Nein, danke«, sagte Ned. »Das erledigen wir an Ort und Stelle.«
10
7. April 1990
1.40 Uhr nachmittags
Marissa drückte sich die Nase am Fenster des Ansett-Düsenclippers platt. Mehrere 1000 Meter unter ihr breitete sich der riesige Ozean aus. Vom Augenblick des Starts um 12.40 Uhr an waren sie nur über Wasser geflogen. Zuerst hatte der Ozean ein dunkles Saphirblau gezeigt. Doch auf dem weiteren Flug hatte sich seine Farbe verändert. Es war zu einem strahlenden Türkis geworden. Schon konnte sie unter dem Wasserspiegel ein unregelmäßiges Muster von Korallen erkennen. Der Flug führte sie über einen Gobelin aus Untiefen, Atollen, Korallenriffen und echten Festlandinseln.
Wendy war aus lauter Vorfreude ganz außer sich. Sie hatte sich am Flughafen einen Reiseführer gekauft und las Marissa daraus einzelne Absätze vor. Marissa brachte nicht den Mut auf, ihr zu sagen, daß sie sich nicht konzentrieren
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