Mark Bredemeyer
lassen!
Widerwillig, abgestoßen von mir selbst und erfüllt mit der Trauer um Dyr nahm ich die Waffe wieder an mich und rannte eilig in den Wald. Das dumpfe und tiefe Signalhorn der Stammeskrieger erklang – wahrscheinlich das Rückzugssignal, wie von Ingimundi bereits angekündigt! Die Römer hatten keine Geiseln mehr und eine weitere Lektion erteilt bekommen. Das war es, was die Häuptlinge gewollt hatten!
So schnell ich konnte, rannte ich nach Norden. Fliehende römische Legionäre würden kaum eine Gefahr darstellen, dessen war ich mir sicher. Aber es gab immer noch Bliksmani! Dieser hatte schließlich keine nächtliche Pause einlegen müssen und war nun höchstwahrscheinlich irgendwo hier in der Gegend. Aber er würde den Frauen aus mehreren Gründen nichts antun: Er konnte es sich nicht mit Ingimundi verderben, er brauchte die Unterstützung aller Stämme und Häuptlinge der Gegend. Außerdem wusste er gar nicht, wer Frilike war und wie sie aussah. Weiterhin hatte ich die Frauen angewiesen, sich zu verstecken. Und: Immerhin hatte ich nach wie vor die Waffe und konnte Bliksmani und seine Männer mit Leichtigkeit ausschalten. Oder? Ein ungutes Gefühl überkam mich, denn Bliksmani würde in dieser Sache vielleicht nicht so rational handeln, wie ich es mir gerade dachte.
Die Frauen rafften ihre Röcke und krachten gehetzt durch das Unterholz des kleinen Auenwäldchens. Der Boden war weich und schwammig und ständig blieb eine von ihnen stecken. Der Kampfeslärm war angeschwollen und ein mächtiges dröhnendes Brausen erfüllte die Luft, Hörner, sowohl der Römer als auch der Stämme, untermalten das Geschrei und kündeten vom bevorstehenden Gemetzel.
»Schneller! Beeilt euch, wir müssen hier raus!« Blithlik trieb die anderen Frauen an, sie waren jedoch schon nach kurzer Zeit ziemlich erschöpft aufgrund des schwierigen Geländes. Keuchend kämpften sie sich durchs dichte Unterholz, Brennnesseln verbrannten ihnen die Beine und Hände, stachelige Brombeerranken krallten sich in ihre Kleider und zerrissen diese. Endlich hatten sie sich durch das dichte Wäldchen hindurchgekämpft und fielen ins weiche und feuchte Gras der angrenzenden Wiesen. Zerschunden und zerkratzt begutachteten sie sich, bevor Blithlik sie erneut antrieb: »Los, weiter jetzt! Nur noch ein kleines Stück! Seht ihr, da vorn?« Sie wies auf ein lang gezogenes Waldstück, etwa einen Kilometer entfernt.
Bliksmani und seine Männer waren ebenfalls bis zum Sonnenuntergang beinahe ohne Unterbrechung geritten und nun nicht mehr weit von der Hegirowisa entfernt. Sie hatten Leon bislang nicht aufspüren können, obwohl seine Spuren den ganzen Tag lang deutlich sichtbar gewesen waren für die geübten Fährtenleser. Wenn sie ihn in den nächsten ein oder zwei Stunden nicht fanden, war es wahrscheinlich zu spät. Leon wäre dann wohl schon im Bereich des Römerlagers – was er alleine sicher auch schaffen könnte, ohne entdeckt zu werden. Sie mussten also versuchen, ihn am folgenden Tag zu erwischen, sofern es ihn dann überhaupt noch gab. Seine Chancen standen schließlich nicht besonders gut. Mehr als tausend Legionäre hatten seine Späher gezählt, als sie Phabiranum geräumt hatten. Die Gefahr war groß, dass die Römer ihn überwältigten und an die Waffe kamen. Dann war sie wohl für immer verloren. Die Römer würden jedoch kaum etwas mit ihr anfangen können, denn das Magazin war wahrscheinlich leer geschossen, wenn Leon die Befreiungsaktion wirklich wagte. Bliksmani konnte nicht umhin und musste den Mut des Jungen bewundern sowie seine Willensstärke.
»Wir laufen Gefahr, durch eine römische Patrouille entdeckt zu werden!«, wandte sich Slithmodig nun an ihn.
Bliksmani schaute ihn regungslos an. »Mit einer Patrouille werden wir leicht fertig.«
Dabei wies er mit seinem Daumen auf das verpackte Bündel auf seinem Rücken. Er musste unbedingt den Anschein wahren, seine Waffe dabei zu haben und somit keine Römer zu fürchten.
»Wir müssen Witandi davor bewahren, in die Arme der Römer zu laufen! Es wäre sein sicherer Tod!«, sprach er weiter.
Die Männer ahnten nach wie vor nichts von seinen wahren Beweggründen und vermuteten verschleierte familiäre Bande hinter dieser Aktion. Mürrisch blickten sie bei dieser Antwort ihres Kriegsführers drein, denn keiner von ihnen wollte sich bei diesem Himmelfahrtskommando für Witandi opfern. Bliksmani spürte den Unwillen, hielt es dennoch für besser, erst einmal nichts dagegen zu
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