Markttreiben
es hier einst vierzehn Brauereien gegeben
habe, gefiel Gerhard am besten, auch die Tatsache, dass die Täfelung der
Ratsstube ursprünglich mit Ochsenblut getränkt gewesen war, zum Schutze des
Holzes. Dass Evi ihn auch noch in die Kirche schleppte, war nun aber wirklich
eine Zumutung.
»Ein beeindruckendes Zimmermann-Werk wie die Wies«, flötete die
Führerin gerade.
Gerhard arbeitete sich unauffällig bis zur Tür vor und war zumindest
amüsiert über einen Goldputto, der aussah wie Winnetous kleiner Bruder. Evi kam
einige Minuten später.
»Schade, dass wir nicht mal die Attraktionen in unserer nächsten
Umgebung kennen«, sagte sie.
»Tja, Evilein, dann machst du eben mal ‘ne Radltour auf der
Romantischen Straße statt ‘nen Trip nach Sri Lanka.«
Evi ignorierte ihn und strebte der Adresse der Kreisrätin zu. Effi
Bader lebte in der Kirchenstraße. Es war, wie Baier gesagt hatte, so ein
Hoch-über-den-Dächern-der-Altstadt-Ding. Effi Bader öffnete. Sie war schwer zu
schätzen, sie hätte genauso Mitte dreißig wie Ende vierzig sein können. Sie sah
aus wie der Typ Mädchen, der früher Palästinensertücher getragen hatte und
diese Stoffsandalen aus dem Teeladen. Den Tee gab es noch, der dampfte auf dem
Schreibtisch in einer dieser braunen Kannen, die einfach jede in seinem
Bekanntenkreis gehabt hatte. Die Teestuben-Jugendhaus-Standardkanne mit den braunen
henkellosen Bechern. Effi Bader war klein und sehr schmal, sie trug ein
Leinenkostüm, und die glatten Haare waren schmucklos zu einem Pferdeschwanz
gebunden. Sie war unauffällig, unscheinbar, wenig glamourös. Sicher gar nicht
so schlecht in der bayerischen Politik, dachte Gerhard. Er sah sich um. Eine
lichte Wohnung mit einer Dachterrasse war das. Die Möblierung war hell und
klar, Antiquitäten flirteten mit modernen Sesseln, helle Stoffe und sehr
abstrakte Bilder gaben dem Ganzen etwas Zeitgeistiges. Das war die Handschrift
von Rainer Bader. Effi Bader hätte Gerhard sich eher in einem
Öko-Naturholzambiente vorstellen wollen.
Nach etwas Small Talk über einen Schreibwettbewerb für Jugendliche,
für den sie die Schirmherrschaft übernommen hatte, fragte Gerhard direkt: »Sie
kennen Miriam Keller?«
»Ja, sicher.«
»Sie kennen Leo Lang?«
»Den Mann, der nach dem Bürgerfest ermordet wurde? Ja, ich kannte
ihn. Flüchtig.«
Sie antwortete präzise und abwartend. Jeder andere hätte an der
Stelle ein »Warum?« hinterhergeschickt. Sie nicht.
»Herr Lang ist nicht bei Ihnen vorstellig geworden und hat Ihnen
Fotos gezeigt?« Vorstellig geworden, was für seltsame Konstruktionen
entfleuchten seinem Mund. Wahrscheinlich hatte er wirklich einen Sonnenstich.
Und wurde alt. Oder beides.
Sie hatte die Stirn gerunzelt. »Auf was wollen Sie eigentlich
hinaus?«
Aha, da kam ja doch Leben in die Frau.
»Wir möchten darauf hinaus, dass Ihr Mann eine Affäre mit Frau
Keller hatte. Dass von einem dieser Zusammentreffen Bilder existieren, von
denen wir annehmen, dass Sie diese Bilder zu Gesicht bekommen haben. Wurden Sie
erpresst, Frau Bader?«
Das war ein bisschen viel auf einmal gewesen. Gerhard wollte ihre
Reaktion testen. Sie saß da nur mit gerunzelter Stirn und stieß dann ein
»Bitte?« aus.
»Frau Bader, wussten Sie von der Affäre Ihres Mannes mit Miriam
Keller?«, fiel Evi ein.
»Mit Miri? Unsinn. Miri ist eine alte Bekannte. Bloß weil wir zwei
Wohnsitze haben, heißt das noch nicht, dass mein Mann Affären hat.«
Gerhard reichte ihr die Bilder hinüber. Sie blickte darauf, zuckte
zusammen. Gab ihm die Bilder retour, nur weg damit, schien ihre Geste zu sagen.
Sie riss ihre Hand förmlich zurück. Nahm einen Schluck Tee und sagte dann: »Was
sehen Sie darin? Was Sie sehen wollen. Das beweist doch nichts.«
Das war ein starkes Stück. Wie sehr logen sich Menschen ihre
Realität zurecht. Konnte man sich selbst wirklich so weit belügen, dass man in
diesem Bild etwas anderes sah als zwei Menschen bei einem sexuellen
Techtelmechtel? Man konnte, Effi Bader wollte, weil nicht sein konnte, was
nicht sein durfte. Weil sie sich so schön eingerichtet hatte in ihrem Leben,
und da akzeptierte sie keine Störungen. Wie oft war das so zwischen den
Menschen! Wie viel Liebende waren Hassende oder zumindest Verdrängende?
Behalten um jeden Preis. Gerhard hatte mal einen alten Kumpel gehabt, einen
hochintelligenten Menschen. Er war nur bei seiner Freundin geblieben, weil er
abends nicht allein hatte fernsehen wollen. Ihm war das damals in den
Zwanzigern
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