Markttreiben
sagte Gerhard und lächelte Evi an.
»Ja, ich geh schon. Ich versuche, was über diese Lawinensache
rauszufinden. Kümmere du dich um Südafrika. Und Sie, Baier, schauen Sie bloß,
dass Sie verschwinden.«
»Aye, aye, Käpt’n!« Baier salutierte und sagte dann leise: »Danke
und viel Glück.«
Er ging, gefolgt von Evi, die Gerhard einen warnenden Blick
zugeworfen hatte.
Nach zwei Stunden kam Evi retour.
»Also, dein Untoter ist offiziell tot. In einer Lawine am
Schafreuter umgekommen. 1985. Im März«, sagte Evi.
»Wurde die Leiche geborgen?«
»Nein, er wurde nie gefunden. Es war lange Zeit auch gar nicht klar,
ob er überhaupt am Berg gewesen ist. Letztlich nahm man das an. Seine
Alpenvereinsfreunde haben noch im Frühsommer eine große Suchaktion gestartet,
sie wollten seiner Mutter wenigstens einen Leichnam bringen. Um sie zu erlösen.
Um ein christliches Begräbnis zu ermöglichen.«
Gerhard sah aus dem Fenster. Dann wandte er sich zu Evi um. Suchte
ihren Blick. »Und wenn er wirklich noch lebt? Es spricht so viel dafür.«
»Gar nichts spricht dafür. Nur eure Hirngespinste. Warum sollte er
noch leben? Es ist doch nicht so ungewöhnlich, dass ein Lawinenopfer nicht
gefunden wird. Es gibt tausend Gründe, weswegen einer für immer verschwunden
bleibt. Du bist doch so ein Bergfex. Gerade du musst das doch wissen.«
Oh ja, Gerhard wusste das. Ein Freund von ihm war seit dem 2.
Februar 1990 vermisst. Seit gut zwanzig Jahren. Immer zum Jahrestag gingen er
und zwei Kumpels auf diesen Berg. Sie standen dann dort schweigend, tranken ein
Bier, sein Lieblingsbier, und fuhren wieder ab. Er wäre nie auf die Idee
gekommen, dass Harti noch lebte. Irgendwo zusammen mit Falco in der Dom Rep?
Oder mit all jenen, denen man gerne mal nachsagte, sie seien gar nicht tot,
sondern würden irgendwo auf einer südlichen Insel Party machen? Warum wollte
er, dass Peter Paulus dazugehörte? Damit er endlich seinen Mörder fassen
konnte? Suchte er nun schon Phantome, weil er im Hier und Jetzt nicht
weiterkam? Mit etwas Abstand kam ihm das alles selbst schon wieder abwegig vor.
Evi hatte einen Kartenausschnitt vor ihm ausgebreitet. Der
Schafreuter, diesen Berg hatte er auch schon begangen. Von der Oswaldhütte
durch den Kälbergraben, vorbei an der Mooslahner Alm, über einige Kuppen auf
die gewaltige Westflanke und auf den Nordwestrücken zum Skidepot. Eine
Dreistundentour, nicht übermäßig schwer, mit einem Schlussakkord
stapfenderweise zu Fuß bis auf das Gipfelplateau.
»Wie war denn die Lawinenwarnstufe?«, fragte Gerhard schließlich, um
überhaupt etwas zu sagen.
»Warte, das stand hier irgendwo. Ja genau, drei bis vier. Das ist
hoch, oder?«
»Erheblich bis hoch, kommt natürlich trotzdem auf seine Route und
Umsicht an. Was steht da noch?«
»Die Lawine entstand wohl durch einen Abriss einer Wechte. Sie ging
Richtung Moosenalm ab.«
Gerhard betrachtete intensiv die Karte, als könne die ihm Aufschluss
geben, ihr Geheimnis enthüllen. Dieser Peter Paulus hatte mit Sicherheit eine
gefährlichere Abfahrtsspur gewählt als nötig. Jüngere Bergsteiger dachten oft,
sie seien unverwundbar. Und gerade die Erfahrensten wurden gerne mal
unvorsichtig.
»Es muss doch Zeugen geben, das ist doch kein unbekannter Berg.«
»Er war sehr früh dran, der Abgang war um neun Uhr. Es war unter der
Woche. Die Warnstufe war hoch. Paulus hatte den Berg wohl für sich allein, und
er hatte wohl keinen Lawinenpiepser dabei oder ihn nicht an oder keine Batterie
mehr.«
Gerhard hatte die Stirn gerunzelt, das alles kam ihm so fragwürdig
vor.
»Gut, Evi. Was noch?«
»Das Auto war verschwunden.«
»Wie, das ist doch seltsam?«
»Am Parkplatz an der Oswaldhütte stand kein Auto, aber das ist auch
nicht so seltsam, wie du sagst. Sie waren sich nicht sicher, ob er mit dem Auto
zum Berg gefahren ist. Er trampte häufig auch mal.«
»Ja, aber da hätte ihn jemand mitnehmen müssen. Der hätte sich doch
gemeldet. Der Fall war doch sicher öfter in der Presse.«
»1985 war man noch nicht so publicitygeil. RTL startete gerade mal 1984, so wichtig war ein
Lawinentoter damals nicht.«
1984, wurde er wirklich schon so alt? Wie lange lag das zurück, dass
Hans Meiser das neue Fernsehgesicht wurde? Und dieser »Heiße Stuhl«, alles aus
heutiger Sicht zarte Versuche von aufrüttelndem Fernsehen. Heute war das zum
Gähnen, wo man sich auf allen Kanälen anschrie. Und wann war eigentlich »Tutti
Frutti« gewesen? Gerhard hatte nie verstanden, was
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