Markttreiben
schon mal los. Das Taxi kam um Viertel nach
acht, Helen sprach mit dem Fahrer. Paul lud das Gepäck ein, dann gab er Gerhard
die Hand. Einem Gerhard, der auf der einen Krücke schwankte. Paul umarmte Jo
und versprach zu mailen. Dann war Helen dran, das war das Schwerste. Sie gab
Gerhard einen Kuss auf die Wange, und Gerhard ersparte ihnen allen ein weiteres
»Es tut mir leid«. Er hätte so viel sagen müssen, und dafür war es zu spät.
Die Taxifahrt war wahrscheinlich die stillste in der Geschichte
dieses Chauffeurs. Jo war eingeschlafen, Gerhard starrte auf die dahinfliegende
Landschaft. Die Berge, die Dornenbüsche, die Zäune. Sie waren schließlich auf
der Autobahn angelangt, der Verkehr hatte zugenommen, überall gab es
Baustellen. Es gab immer wieder kurze Staus. Klar, das Land hatte seit der
Fußball- WM mehrspurige
Prachtboulevards. Sie näherten sich Johannesburg, sie durchfuhren einen Slum,
erreichten Skyscraper, und irgendwo im Getümmel von Autos und Motorrädern,
irgendwo inmitten von Einbahnstraßen bog der Fahrer in einen Hinterhof ein.
Zwei schwer bewaffnete Posten öffneten ihnen. Es war kurz nach zwölf.
Das Gepäck wurde ausgeladen, sie wurden zum Aufzug geleitet und
fanden sich ein paar Stockwerke höher wieder. Samuel White stand da, als sich
die Aufzugtür öffnete.
» Welcome to Joburg!« , sagte
er, so als sei er ein Hotelportier. Er bat Jo, in einem Aufenthaltsraum zu
warten, wo ein rabenschwarzer Mann ihr Wasser und Kaffee servierte; Gerhard bat
er in sein Büro.
»Wir müssen nachher noch offizielle Protokolle unterzeichnen, das
ist momentan der inoffizielle Teil. Das ist IPA ,
ich wollte kurz mit dir allein reden.«
IPA , International Police Association, natürlich! Baier war
Mitglied dieser Vereinigung, die ein inoffizieller Zusammenschluss von
Polizisten war, die sich gegenseitig weltweit halfen. Geriet irgendwo ein
Polizist in Not, kontaktierte er erst mal einen IPA -Kollegen
im fremden Land. Baier hatte immer schon regen Kontakt zu Kollegen weltweit
gehalten, auch denen auf Kuba, jener Insel, die Baier so liebte. Und nun hatte
ihm die IPA das Leben gerettet!
»Baier?« Mehr brachte Gerhard nicht heraus.
»Dein Kollege Baier hat in München einen alten Freund von mir
kontaktiert. Ich hatte mal vor Jahren in München meinen Ausweis verloren, euer ›Beer
Festival‹ , du weißt«, er lachte,
»jedenfalls habe ich IPA -Kollegen
in München kontaktiert, und gerade in München sitzen sehr hilfsbereite, nette
Kollegen. München hat mich mit Baier in Kontakt gebracht, und er hat mir den
Fall erklärt. Dachte, ich mach mich mal auf den Weg!«
»Samuel, das ist großartig, aber …«
»Aber geht so was in Südafrika?, willst du fragen. Sicher, Gerhard,
ich hab drei weitere Freunde aktiviert, parallel lief aber auch schon die
Anfrage über Interpol. Dein Freund Baier hat alles in Bewegung gesetzt, was
möglich war. Gut für dich.«
Ja, denn sonst wäre er jetzt tot. »Samuel, ich hab das die letzten
Stunden schon tausendmal gesagt. Es tut mir leid. Und danke, ich, ich …«
»Dein eigenmächtiges Handeln war dumm und lebensgefährlich, aber das
brauch ich dir als Polizisten ja nicht zu sagen. Was das zu Hause für
Konsequenzen hat, weiß ich nicht, das wirst du klären müssen. Was wir jetzt
müssen: rübergehen und offizielle Aussagen protokollieren. Deine Freundin
auch.«
Der Papierkrieg war beachtlich, die Kollegen blieben
freundlich-distanziert. Es war halb drei, als sie fertig waren. Samuel, der
immer mal wieder verschwunden war, tauchte auf und sprach eine Einladung zum
Essen aus. Er entführte sie ins Lonehill Shopping Centre, wo die Köche in einer
offenen Küche mitten im Raum wirbelten. »Chefs in Motion« war kein schlechter
Name für das Restaurant! Die Wodka- und Gorgonzolaschnecken wollte Jo dann doch
lieber nicht probieren, die Pasta mit feinen Gewürzen tat’s auch. Sie nahmen
auf einer Art Deck mit Blick über Lonehill Platz – wie Touristen, die mit einem
einheimischen Freund zusammensaßen.
»Was passiert nun mit Piet?«, fragte Jo an irgendeiner Stelle des
Gesprächs. »Wird er denn ausgeliefert?«
»Das hängt von seiner Staatsanghörigkeit ab«, sagte Samuel. »Wenn er
rechtmäßiger Bürger von Südafrika ist, dann gibt es kein Auslieferungsabkommen
mit Deutschland. Hat er aber eine falsche Identität, ist seine angebliche
Staatsbürgerschaft nur erschlichen, dann wäre er ja noch Deutscher. Dann würden
deutsche Zielfahnder ihn hier abholen und nach
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