Marlene Suson 3
Goldhaar war wie immer makellos frisiert.
Daniela war sich schmerzlich bewußt, wie fade sie selbst ne- ben Elizabeth wirken mußte. Unbewußt strich sie sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht.
Als Elizabeth zu ihnen trat, schenkte sie Morgan ein so rei- zendes Lächeln, daß Daniela schier verzagen wollte. Kein Mann auf der Welt konnte einem solchen Lächeln widerstehen.
„Ich glaubte, Sie in den Garten gehen zu sehen, Mylord.“ Eli- zabeth verzog die Lippen zu einem Schmollmund. „Ich habe Sie den ganzen Tag noch nicht gesehen. Wo haben Sie nur gesteckt?“
„Ich war unterwegs.“
Ohne Daniela zu beachten, flötete Elizabeth: „Wollen Sie ein wenig mit mir im Garten promenieren, Lord Morgan?“
„Es wäre mir ein Vergnügen“, gab er galant zurück. „Aber leider muß ich ins Haus und mich zum Dinner umziehen.“
Seine Antwort besserte Danielas Stimmung ein wenig.
Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte es zornig in Elizabeths Augen auf. Dann sagte sie honigsüß: „Ich werde Sie begleiten.“ Damit schob sie die Hand unter seinen Arm.
Morgan nahm auf der anderen Seite Danielas Arm. „Wollen Sie mit uns kommen, Mylady?“
Daniela hätte abgelehnt, wäre da nicht der böse Blick gewesen, den Lady Elizabeth auf sie abschoß. Er bewirkte, daß Daniela Lord Morgans Einladung annahm.
Als sie um die Hausecke bogen, mähten der Gärtner und seine Gehilfen gerade das Rasenstück direkt neben dem Weg. Der halbwüchsige Bursche schwang die Sense noch immer ziemlich ungelenk.
Als er gerade wieder mit der Sense ausholte, wähnte Lady Elizabeth sich offenbar in Gefahr. „Paß doch mit dem Ding auf, du Dummkopf!“ herrschte sie den Jungen an.
Der fuhr erschrocken zusammen, denn er wandte ihnen den
Rücken zu und hatte sie nicht kommen hören. Er versuchte, den Schwung seiner Sense abzubremsen, doch es gelang ihm nur, dem scharfen Sensenblatt eine andere Richtung zu geben. Es fuhr in die Wade des kleinen Freddie Watkins, und hellrotes Blut sprudelte aus der Wunde.
„O mein Gott, Freddie!“ schrie Daniela auf und hastete zu dem verletzten Kind. Der Kleine sank zu Boden und wand sich vor Schmerzen. Sein Gesicht war weiß wie die Wand, und er blutete stark.
Die Blutung mußte gestillt werden, sonst würde er es nicht überleben.
14. KAPITEL
Morgan hatte gar nichts von dem Unfall bemerkt. Erst als Da- niela sich über den Jungen beugte, sah er die tiefe Wunde in Freddies Wade. Morgan wollte sich von Elizabeth losmachen, doch sie klammerte sich an ihn, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie schrie so schrill auf, daß er zusammenzuckte. Dann wurde sie ohnmächtig.
Morgan fing sie auf und stieß einen unterdrückten Fluch aus. Mußte sie ausgerechnet jetzt in Ohnmacht sinken? Der Junge brauchte dringend Hilfe, und Morgan hatte keine Zeit, sich um diese zimperliche Lady zu kümmern.
Der verletzte Junge, den Daniela mit Freddie angesprochen hatte, wimmerte vor Angst und Schmerz. Sie befahl ihm, sich auf den Rücken zu legen. Als Freddie gehorchte, bückte Daniela sich und riß den Volant von ihrem Unterkleid.
Morgan ging in die Hocke und legte Elizabeth ins Gras. Er entschied sich dagegen, Wiederbelebungsversuche zu machen. Wenn sie zu sich kam, würde sie zweifellos einen hysteri- schen Anfall bekommen und die Situation nur noch verschlim- mern.
Morgan erhob sich und ließ Elizabeth im Gras liegen. Mit ein paar Schritten war er bei Daniela und Freddie. Sie hatte den weißen Volant ihres Unterkleides um die Wunde des Jun- gen gebunden und versuchte verzweifelt die Blutung zu stil- len.
Mit schreckgeweiteten Augen sah Freddie zu. „Du mußt keine Angst haben, Freddie“, sagte Daniela begütigend. „Gleich wird es aufhören zu bluten.“
Morgan kniete sich neben sie ins Gras. Was für eine Frau! Ihre ruhige Gelassenheit und ihre flinke Einschätzung der Situation nötigte ihm rückhaltlose Bewunderung ab. Sie war vor der klaf- fenden Wunde nicht zurückgezuckt, wie es die meisten Frauen
getan hätten. „Komm, laß mich das machen. Ich bin stärker und kann den Verband fester anziehen.“
Daniela überließ ihm das Bein des Jungen. Ihr dankbares Lächeln drang ihm bis ins Herz.
Der Volant, den sie um die Wunde gebunden hatte, war schon völlig mit Blut durchtränkt. Morgan zog den provisorischen Ver- band so fest, wie er nur konnte, um die Blutung endlich zum Stillstand zu bringen. Dieser verfluchte Basil! Freddie war noch ein Kind und viel zu klein für eine so gefährliche
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