Marlene Suson 3
etwas zu essen gegeben haben.“
„Hab seinen Befehl doch ausgeführt“, meinte die Köchin achselzuckend. „Hab kein Tablett hochgeschickt.“
Daniela verließ die Küche. Als sie gerade die breite Treppe hin- aufgehen wollte, öffnete sich die Tür des Eßzimmers, und Lord Morgan trat in die Halle.
„Wie geht es Freddie, Daniela?“
Sie blieb auf der untersten Stufe stehen und wandte sich um. „Noch ein bißchen schwach, aber er wird es überleben ... dank deiner Hilfe.“
Mit ein paar raschen Schritten war Morgan bei ihr. Da Da- niela auf der ersten Stufe stand, waren sie gleich groß. Er legte die Hände sanft auf ihre Arme, und ihr Herz wurde weit unter dem bewundernden Blick in seinen blauen Augen.
„Mit meiner Hilfe hatte das wenig zu tun.“ Seine Stimme war so weich wie eine Liebkosung, und Daniela spürte, wie ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief.
„Du hast Freddie gerettet, weil du so rasch gehandelt hast. Du hast dich sehr tapfer gehalten, Daniela. Es gibt gewiß nicht viele Frauen, die dir das nachmachen würden.“
Daniela sah ihm an, daß er jedes Wort ernst meinte, und ein warmes Glücksgefühl breitete sich in ihr aus. „Ich bin froh, daß ich zufällig da war.“
„Ist dein Bruder James so groß wie du und dein Vater oder auch so kleinwüchsig wie Basil?“
Der plötzliche Themawechsel verblüffte Daniela, doch sie sagte: „Er ist noch ein bißchen größer als ich. Weshalb fragst du?“
Statt einer Antwort stellte Morgan eine weitere Frage. „Ist Walter Briggs auch groß von Gestalt?“
„So groß wie James. Wieso interessierst du dich für die Größe der beiden?“
„Reine Neugier“, gab Morgan beiläufig zurück.
Daniela glaubte ihm nicht, doch bevor sie das in Worte fassen konnte, flüsterte Morgan: „Versprichst du, mein Geheimnis zu wahren, wenn ich morgen abreise?“
Ob seine Behauptung, Gentleman Jack zu sein, nun wahr war oder nicht, Daniela konnte ihm die Bitte auf keinen Fall abschlagen. Im übrigen hätte sie ohnehin mit nieman- dem darüber gesprochen. „Ja, du kannst dich auf mich verlas- sen.“
Morgan wirkte unendlich erleichtert, und sein Lächeln war so berückend, daß ihr ganz schwindlig wurde. Ihre Blicke tauchten ineinander, und beide spürten die erotische Spannung, die sich zwischen ihnen aufbaute. Daniela erinnerte sich an die Lust, die er ihr in der vergangenen Nacht gespendet hatte, und ein leises Zittern überlief sie.
Sein Mund näherte sich dem ihren. Sie wußte, daß er sie gleich küssen würde, und der Gedanke machte sie glücklich. Als ihre Lippen sich berührten, erhaschte Daniela aus dem Augenwinkel eine Bewegung.
Sie fuhr zurück. In der Tür zum Speisezimmer stand Sir Waldo Fletcher und starrte mit einem finsteren Gesichtsausdruck zu ihnen herüber.
„Was macht der denn hier?“ flüsterte Daniela erschrocken.
Morgan wandte den Kopf. Als er Fletcher sah, nahm er die Hände von Danielas Armen. „Er war zum Dinner eingeladen“, gab er leise zurück. „Wußtest du das nicht?“
„Nein. O verflixt, jetzt wird er mich bei Basil verpetzen.“ Sie drehte sich um und lief die Treppe hinauf.
In ihrem Schlafzimmer angekommen, warf Daniela sich auf ihr Bett. Wenn Sir Waldo Basil hinterbrachte, was er unten an der Treppe beobachtet hatte, würde ihr Bruder natürlich das Schlimmste von ihr und Morgan denken. Das tat Basil immer. Und er würde es ihr ohne Ende vorhalten.
Doch damit konnte sie leben. Viel schwerwiegender war, daß Morgan Greenmont morgen früh verlassen würde. Höchstwahr- scheinlich würde sie ihn nie wiedersehen. Sie versuchte sich ein- zureden, daß es ihr gleichgültig sei, gab es dann jedoch auf. Nur Narren belogen sich selbst.
Daniela hörte, wie ihre Tür aufging und wieder geschlossen
wurde. Sie achtete nicht darauf. Es war sicher eine Magd, die frisches Wasser brachte.
Plötzlich spürte sie ein schweres Gewicht über sich, und die Matratze bog sich durch.
Erinnerungen an eine andere Nacht und einen anderen Über- fall stürmten auf Daniela ein. O Gott im Himmel, es geschieht noch einmal! Panische Angst ergriff Besitz von ihr. Ein zweites Mal würde sie das nicht ertragen.
Daniela stieß einen markerschütternden Schrei aus. Sofort preßte Fletcher ihr seine fleischige Hand auf den Mund und erstickte den Schrei.
„Du hochnäsige Hexe“, knurrte er. „Bist wohl zu fein für einen einfachen Baronet, was?“ Seine Zunge war schwer vom Wein. „Aber dem Bruder eines Herzogs gibst du mit Freuden
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