Marlene Suson 3
ihm das?“
„O ja. Das hat er mir klar und deutlich erklärt.“ Es schmerzte Daniela, dies zugeben zu müssen.
„Wie ungalant von ihm.“ Rachel drückte aufmunternd Danie- las Hand. „Machen Sie sich nicht allzu viel daraus. Ich bin ganz sicher, daß sich alles zum Besten wenden wird.“
Aber was hielt die Herzogin für das Beste?
Zögernd ging Daniela die breite Marmortreppe hinunter zum Dinner. Das Kleid, das sie trug, gefiel ihr sehr, doch sie fürchtete sich vor der ersten Mahlzeit in diesem überwältigenden Palast.
Nachdem sie gebadet und ein paar Stunden geschlafen hatte, hatte Rachel darauf bestanden, daß sie sich drei Kleider aus ihrer Garderobe aussuchte. Daniela wagte nicht einzuwenden, daß sie nicht lange genug auf Royal Elms bleiben würde, um sie alle zu tragen. Sie hatte die feste Absicht, sich am nächsten Morgen in aller Frühe davonzustehlen. Um sich nicht zu ver- raten, hatte sie gehorsam drei Kleider ausgewählt, von denen sie eines jetzt trug. Es war aus weißer Seide mit einem wei- ten Reifrock, der sich vorn über einem grünseidenen Unterkleid öffnete.
Mit einer grünen Schärpe, die in Farbe und Material zu dem Unterkleid paßte, hatte Rachel geschickt kaschiert, daß das Mie- der für Daniela zu kurz war. Die Hausschneiderin von Royal Elms hatte sowohl an den Rock als auch an das Unterkleid zur Verlängerung breite Volants genäht.
Während die Schneiderin mit dem Kleid beschäftigt war, hatte Rachel Daniela das prächtige Haus gezeigt. Sie waren durch mehrere Prunksäle gegangen und auch zu einem Speise- saal gekommen, in dem fünfzig Gäste bequem Platz fanden. Da- niela fürchtete, daß das Dinner ebenso erdrückend formell sein würde.
Dann jedoch wurde sie in ein wunderschönes, gemütliches klei- nes Eßzimmer geführt. Es hatte einen Erker, durch dessen Fenster man auf einen gewundenen Pfad blickte, der mit Schwertlilien und Maiglöckchen gesäumt war.
Der Weg führte zu einem Wäldchen mit Rotbuchen, Kastanien und Platanen.
Das Essen war ausgezeichnet. Morgan jedoch wirkte sonder- bar in sich gekehrt. Vermutlich hatte Jerome ihm tüchtig den Kopf gewaschen, weil er Daniela mitgebracht hatte.
Im Gegensatz zu Morgan führten der Herzog und die Herzo- gin eine angeregte Unterhaltung. Sie schlossen Daniela mit ein, fragten sie nach ihrer Meinung zu verschiedenen Themen und
hörten sich aufmerksam an, was sie dazu zu sagen hatte. Schon bald begann sie sich zu entspannen und sich wohler zu fühlen, als sie das je auf Greenmont getan hatte, wo Basil sie unentwegt verspottete.
Während sie dem zweiten Gang zusprachen – Geflügelpastete und Spargel – begannen sie, sich über Bücher zu unterhalten.
„Daniela hat sogar ,Das Gesetz der Freiheit’ von Winstanley gelesen“, meldete Morgan sich, nachdem er seit einigen Minuten stumm vor sich hingebrütet hatte.
Jerome musterte sie mit einem so forschenden Blick, daß Da- niela ihm unterstellte, genauso schockiert zu sein, wie Basil es gewesen wäre, wenn er sie mit dem Buch angetroffen hätte.
„Interessieren Sie sich für Sozialfragen, Lady Daniela?“ fragte Jerome.
„Ja“, gab Daniela herausfordernd zurück. Ein Mann, der so reich und mächtig war wie der Herzog, würde eine solche Einstellung gewiß nicht billigen.
Doch er überraschte sie mit der Frage: „Haben Sie auch John Bellers’ Studie über die Einrichtung von Fachschulen gelesen?“
„Nein. Ich wollte es gern, konnte das Buch aber nirgendwo finden.“ Staunend sah Daniela den Herzog an. „Haben Sie es gelesen, Euer Gnaden?“
„Ja, und ich fand es höchst interessant. Morgan kann Ihnen sein Exemplar leihen.“
„Du hast das Buch?“ Es verblüffte Daniela, daß ein Salonlöwe wie Morgan sich mit solchen Themen beschäftigte.
Er schenkte ihr dieses typische Lächeln, das ihr so unter die Haut ging. „Gewiß, meine Räuber-Lady. Ich kann nämlich lesen.“
„Aber ausgerechnet so etwas?“
Jerome lachte auf. „Morgan hat eine sehr reichhaltige Auswahl an sozialwissenschaftlichen Werken.“
Noch immer lächelnd sagte Morgan: „Sieh dich vor, sonst be- stehe ich noch darauf, dir all meine Bücher zu zeigen und dich damit tödlich zu langweilen.“
Daniela stellte erleichtert fest, daß Morgans Lebensgeister wie- der zu erwachen schienen und er zu seinem normalen vergnügten Selbst zurückfand.
„Ich halte Bellers’ Ideen für durchaus realistisch“, meinte Jerome.
„Weshalb?“ fragte Daniela.
„Er glaubt, daß Profit und
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