Marlene Suson 3
Daniela entgeistert.
„Mein völliger Ernst.“
Weshalb überraschte sie das so? Das paßte doch genau zu den Zielen, die Gentleman Jack in seiner Sorge um die Armen und Unterprivilegierten verfolgt hatte. Was für ein faszinierender, vielschichtiger Mann Morgan doch war! Ganz anders, als sie ursprünglich gedacht hatte.
„Ich suche mir meine Anregungen in Büchern wie diesem. In dem von mir geplanten Gemeinwesen sollen die Armen die Mög- lichkeit bekommen, ein Handwerk zu erlernen und sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.“ Je länger Morgan sprach, desto lebhafter wurde er, und er unterstrich seine Ausführungen mit erklärenden Gesten.
Seine schön geformten Hände mit den langen, schmalen Fin-
gern faszinierten Daniela. Mit aufsteigender Sehnsucht dachte sie daran, wie diese Hände ihren Körper erforscht hatten, als sie in der Hütte ... Gewaltsam riß sie sich von der Erinnerung los. Wie konnte sie nur in diesem Augenblick an so etwas denken!
„In diesem Gemeinwesen wird es Bildung, medizinische Ver- sorgung, Beschäftigung und Altersversorgung für alle geben.“ Morgans Augen, die eine Schattierung heller waren als die sei- nes Bruders, leuchteten vor Eifer. Dieses Projekt lag ihm frag- los sehr am Herzen. „Die Arbeiter sollen im Alter nicht mehr von der ungewissen Mildtätigkeit ihrer ehemaligen Dienstherren abhängig sein.“
Daniela war begeistert. „Was für eine Arbeit könnten die Menschen verrichten?“
„Eine solide Mischung aus Landwirtschaft, Handwerk und Handel.“
Daniela runzelte die Stirn. „Soll es auch eine Schule geben?“
„Ja, selbstverständlich, und alle Kinder werden darin unter- richtet.“
„Es müßte auch ein Spital geben“, schlug Daniela vor. „Bei ansteckenden Krankheiten müßte man die Kranken von den Ge- sunden trennen, um die Ausbreitung von Epidemien zu verhin- dern.“
Sein anerkennendes Lächeln machte Daniela ganz atemlos.
„Ein ausgezeichneter Vorschlag.“
Morgans Lob beglückte sie. Ihre Familie – außer James – hatte sich immer über ihre Ideen lustig gemacht, obwohl ihr Vater sie später oft genug als seine eigenen ausgegeben hatte.
Es beeindruckte sie ungemein, daß dieser scheinbar so ober- flächliche Don Juan derart ambitionierte Pläne entwickelt hatte. „Würdest du zulassen, daß ein paar meiner Schützlinge in dieses Gemeinwesen aufgenommen werden?“ fragte sie eifrig. Endlich sah sie einen Weg, um die Lage dieser Menschen auf Dauer zu verbessern.
Er lächelte. „Warum nicht? Wenn sie kommen wollen. Jede Teilnahme erfolgt auf freiwilliger Basis.“
Die Aussicht auf einen sicheren Hafen für Fletchers Gruben- arbeiter und die anderen armen Teufel entzückte Daniela. Aber würde das Projekt auch wirklich in die Tat umgesetzt werden? „Wie weit sind deine Pläne gediehen?“
„Ich habe beim König einen Freibrief beantragt.“
Das war schon etwas, doch Daniela bezweifelte, daß der Kö-
nig ein so radikales Projekt gutheißen würde. „Glaubst du, daß Seine Majestät zustimmt?“
Ihre eigene Skepsis spiegelte sich in Morgans Blick wider. „Nun ja, er hat die Idee nicht direkt verworfen, aber Jerome fürchtet, er könnte es noch tun. Wir haben um eine Audienz nachgesucht, doch er hat sich bis jetzt noch nicht geäußert.“
„Ist Jerome mit deinen Plänen einverstanden?“
Morgan nickte. „Sowohl er als auch Rachel unterstützen mich. Sie sehen darin eine Möglichkeit, die Armen zu produktiven und zufriedenen Menschen zu machen. Was hältst denn du davon?“
Das hörte sich an, als würde ihre Meinung ihm wirklich etwas bedeuten. Dabei wußte sie ja genau, daß das gar nicht so sein konnte. „Ich halte es für eine wundervolle Idee.“
Morgan schaute sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. „Das dachte ich mir.“
Nachdem Daniela Morgan verlassen hatte, machte sie sich auf den Weg zum Kinderzimmer, um Stephen und Serena zu besu- chen. Die beiden waren ihr rasch ans Herz gewachsen. Als sie zu den Räumen kam, die die Kinder bewohnten, drang fröhliches Kreischen und Quietschen durch eine offene Tür heraus.
Als Daniela die Tür erreichte, entdeckte sie die Ursache dieses Lärms. Jerome lag rücklings am Boden und balgte sich mit sei- nem Sohn, so wie Morgan es mit den Briggs-Jungen getan hatte. Serena, die das Schauspiel vom Schoß ihrer Mama aus verfolgte, klatschte in die Händchen vor Aufregung.
Verblüfft betrachtete Daniela die Szene. Nie hätte Sie sich träumen lassen, den erlauchten
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