Marlene Suson 3
ihrem Gast, daß sie soeben eine Entscheidung getroffen hatte. „Morgan hat Ihnen offenbar nicht anvertraut, weshalb er die Straßenräuberei aufgegeben hat, oder?“
„Er sagte, er hätte es seinem Bruder versprochen. Die Bedin- gung war, daß Jerome etwas tun sollte, das Morgan von ihm verlangte.“
„Aber er hat Ihnen nicht gesagt, worum es dabei ging? Was ihm so wichtig war, daß er dafür seine Laufbahn als Gentleman Jack aufzugeben bereit war?“
Daniela schüttelte den Kopf. „Nein.“
Rachel lächelte versonnen. „Morgan verlangte von Jerome, daß er mich heiratete. Als Jerome einwilligte, hörte Gentleman Jack auf zu existieren.“
„Was?!“ Daniela glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Ich würde alles für meinen Bruder tun und er für mich. „Aber es ist doch gar nicht zu übersehen, daß der Herzog Sie anbetet. Wie könnte ein Mann Ihnen auch widerstehen?“
„Jerome konnte“, gab Rachel lächelnd zurück.
„Aber Sie sind doch so wunderschön, und ...“
„In Jeromes Augen war das mein größter Fehler. Er mißtraute schönen Frauen aus tiefstem Herzen. Er zog mir eine andere Frau vor, einen wahren Ausbund an Tugend, wie er glaubte.“
„Ausbund an Tugend?“ Schuldbewußt dachte Daniela daran, daß sie haargenau die gleiche Bezeichnung für Rachel geprägt hatte. „Wer war die Frau?“
„Die Tochter eines benachbarten Grundbesitzers und Jero- mes Idealbild einer Ehefrau. Morgan, der sie durchschaut hatte, nannte sie immer Sankt Emily.“
Daniela konnte es nicht fassen. „Aber der Herzog hat Sie doch entführt.“
Rachel lachte. „Erst nachdem ich ihn entführt hatte.“
Daniela kam aus dem Staunen nicht heraus. Sie war sprach- los.
„Morgan wußte, daß sein Bruder mich liebte, bevor Jerome es selbst begriff“, fuhr Rachel fort.
„Aber ich bin ganz und gar nicht das, was Morgan von einer Frau erwartet.“
„Und was, glauben Sie, erwartet er?“
„Eine schöne, anmutige Frau wie Sie. Jemand, auf den er stolz sein kann, wie beispielsweise Lady Elizabeth Sanders. Nicht eine häßliche, plumpe Riesin wie ich.“
„Aber Sie sind doch nicht häßlich!“ Prüfend musterte die Her- zogin Danielas Gesicht und ihre schlanke Gestalt. „Wirklich, wenn wir ein bißchen Hand anlegen, könnten Sie ausgesprochen reizvoll wirken. Ich werde meinen Bruder fragen. Stephen weiß immer, was einer Frau am besten steht.“
„Sprechen Sie vom Earl of Arlington?“
Rachel nickte. „Er wird uns mit seiner Familie sehr bald besuchen.“
Die Aussicht, sich der kalten Musterung Lord Arlingtons un- terziehen zu müssen, reichte aus, um Daniela die beabsichtigte Flucht am nächsten Morgen schmackhaft zu machen. Sie würde ihre Begegnung mit Lord Arlington während ihrer Londoner Saison nie vergessen. Ihre Wangen brannten vor Scham, als sie sich daran erinnerte, wie seine harten blauen Augen sie mit sichtlichem Widerwillen gemustert hatten. Anschließend hatte er sie völlig ignoriert. Was sonst konnte man auch von einem ge- nußsüchtigen, ausschweifenden Lord schon erwarten, dem man nachsagte, daß er sich seine Mätressen unter den schönsten Frauen Londons aussuchte?
„Ich finde, daß Sie tatsächlich ausgesprochen hübsch sind, Daniela“, sagte Rachel überzeugt.
„Morgan findet das nicht.“
„Außerdem sind Sie mutig und nobel“, fuhr die Herzogin mit fester Stimme fort. „Das sind Eigenschaften, die Morgan bei einer Frau sehr schätzt.“
Auch wenn das stimmte, so waren Rachels und Lady Elizabeths Charme und Schönheit Eigenschaften, die er bei einer Ehefrau vermutlich noch mehr schätzte.
18. KAPITEL
Beim ersten Morgengrauen schlich Daniela die Hintertreppe hinab. Als sie aus dem Haus trat und den Weg zu den Stallungen einschlug, dankte sie dem Himmel, daß ihr im Haus niemand begegnet war. Es hätte ja durchaus sein können, daß es unter der Dienerschaft Frühaufsteher gab. Paradoxerweise war sie jedoch tieftraurig, diesen Ort verlassen zu müssen, wo Liebe und Glück zu Hause waren.
Noch trauriger war sie, weil sie Morgan verlassen mußte.
Sie öffnete die Stalltür ... und fand ihren Weg blockiert durch Ferris’ stämmigen Körper. Er schien nicht im geringsten überrascht, sie hier anzutreffen.
„Bedaure, Mylady, aber das Stallpersonal hat strikte Order, sie nicht hereinzulassen, wenn Sie nicht von Lord Morgan oder dem Herzog begleitet werden.“
„Aber ich ... ich möchte ausreiten“, stammelte sie.
Ferris kicherte. „Da bin ich mir sicher. Und es
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