Marlene Suson 3
Herzog in einer solchen Situa- tion vorzufinden, die er obendrein auch noch in vollen Zügen zu genießen schien.
Wieder kam Daniela zum Bewußtsein, wieviel Liebe Rachel und Jerome einander und ihren Kindern entgegenbrachten. Nie zuvor hatte Daniela ein solches Maß an Hingabe und Zuneigung in einer Familie erlebt. Ich würde alles für meinen Bruder tun und er für mich.
Traurig dachte sie daran, welch kalte Gleichgültigkeit unter den Mitgliedern ihrer eigenen Familie geherrscht hatte. Und sie erinnerte sich an die Ungerechtigkeit, mit der ihr Vater sie für den Tod seiner Frau verantwortlich gemacht hatte. Wäre wohl alles anders gekommen, wenn ihre Mutter nicht bei ihrer Geburt gestorben wäre?
In Danielas Augen war die Liebe, die die Parnells füreinan- der empfanden, wie ein magischer Kreis, der sie umgab und ge- gen die Widrigkeiten der Welt abschirmte. Wie wundervoll wäre es, diesen Kreis betreten zu dürfen und sich darin geborgen zu fühlen.
Morgan würde gewiß ein ebenso guter Vater sein wie Jerome. Daniela dachte an die Kinder, die sie sich so sehr wünschte, und die sie doch nie haben würde. Was für ein unvorstellbares Glück es wäre, in einer solchen Familie geliebte Ehefrau und liebende Mutter zu sein!
Doch Daniela wußte, daß das unmöglich war – selbst wenn Morgan sie liebte, was er nicht tat. Obwohl der Herzog sehr freundlich zu ihr war, würde er doch niemals einer Ehe zwischen seinem Bruder und einer Frau mit ruinierter Reputation und einem Hang zur Straßenräuberei zustimmen.
Am folgenden Nachmittag wurde der Klopfer an der massiven Eingangstür von Royal Elms so heftig betätigt, daß Daniela, die sich im Salon gerade mit der Herzogin unterhielt, hochschreckte.
Im nächsten Augenblick dröhnte eine Männerstimme durch die Halle. „Wo ist Rachel?“
Mit strahlendem Gesicht sprang die Herzogin auf. „Das ist mein Bruder Stephen!“ Sie eilte zur Tür. Noch bevor sie sie er- reichte, stürmte ein Bild von einem Mann herein und umarmte sie überschwenglich.
Daniela hatte den Earl of Arlington seit sechs Jahren nicht mehr gesehen, doch sie erkannte ihn sofort wieder. Er war al- lerdings auch ein Mann, den eine Frau nicht so leicht vergaß, obwohl sein ebenmäßiges, männlich schönes Gesicht schmaler geworden war und er auch reifer wirkte als in Danielas Erinne- rung. Sonderbarerweise schienen seine Augen unter den dich- ten schwarzen Brauen eher weicher und gütiger geworden zu sein. In Danielas Erinnerung waren sie hart, kalt und kritisch, besonders dann, wenn sie eine Frau musterten.
„Stephen, ich freue mich ja so, daß du hier bist!“ rief Rachel und drückte ihren Bruder an sich.
Die Ähnlichkeit zwischen Bruder und Schwester war verblüf- fend. Beide hatten das gleiche rabenschwarze, glänzende Haar, die feingemeißelten Züge und diesen ungewöhnlichen violetten Schimmer in den blauen Augen.
Stephens Blick fiel auf Daniela. „Wen haben wir denn da?“
Rachel machte sie miteinander bekannt, und Lord Arlington lächelte Daniela mit so viel Wärme und Freundlichkeit an, daß sie ihre Aversion gegen ihn völlig vergaß. Er schien sich total verändert zu haben.
„Hast du meine Nachricht erhalten?“ fragte Rachel.
„Ja, und ich habe die Modistin wie befohlen mitgebracht. Vielleicht kannst du mir jetzt mal verraten, wozu das gut sein soll.“
„Später“, beschied ihn die Herzogin. „Erst will ich Megan und den kleinen Jerome begrüßen.“
Stephen schaute zur Tür, und sein Gesicht leuchtete ebenso auf, wie es bei Jerome geschah, wenn er Rachel ansah. „Da ist Megan ja schon.“
Daniela mochte ihren Augen kaum trauen. Sie war davon aus- gegangen, daß Lady Arlington eine umwerfende Schönheit – wie ihre Schwägerin – sein müßte. Obwohl die Frau im Türrahmen sehr elegant und geschmackvoll gekleidet war, war sie doch keine Schönheit im landläufigen Sinne.
Dennoch umfaßte Lord Arlington seine Frau mit einem so hingebungsvollen Blick, als wäre sie noch schöner als seine Schwester.
Rachel streckte Megan die Arme entgegen, und die beiden Frauen begrüßten sich herzlich.
„Wo ist mein Neffe?“ fragte Rachel.
Megan lächelte. „Mein kleiner Jerome ist bei deinem großen Jerome.“ Lady Arlington mochte vielleicht nicht schön sein, doch ihre warme, melodische Stimme war es.
Stephen nahm die Hand seiner Frau. „Und dies, mein Schatz, ist Rachels Gast, Lady Daniela Winslow.“
Ein strahlendes Lächeln verwandelte Megans Gesicht völlig, als sie
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