Marlene Suson 3
gutaussehender Mann, noch dazu ein Earl, die Garderobe für sie aussuchte. Seine Schwester und die Schneiderin freilich taten, als wäre es das Normalste auf der Welt.
„Brauchst du Daniela und mich noch, Stephen?“ fragte Rachel. „Wenn nicht, wollen wir Megan Gesellschaft leisten, während sie sich stärkt.“
Ihr Bruder schaute kurz von den Stoffmustern auf, die er ge-
rade prüfte. „Nein, geht nur. Sag Megan, daß ich noch eine Weile beschäftigt sein werde.“
Als Morgan die große Marmorhalle durchquerte und auf die Treppe zuging, trat sein Bruder aus dem Eßzimmer.
„Ich glaubte, dich hereinkommen zu hören, Morgan“, sagte Jerome. „Kommst du mit in die Bibliothek? Ich muß etwas mit dir besprechen.“
Während Morgan dem Bruder zur Bibliothek folgte, hörte er hinter sich weibliche Stimmen und Gelächter. Als er sich um- drehte, sah er Daniela und Rachel durch die Halle gehen und auf das Zimmer zustreben, das Jerome gerade verlassen hatte. Die beiden Frauen waren so in ihre Unterhaltung vertieft, daß sie ihn gar nicht bemerkten.
Morgans Blick ruhte beifällig auf Daniela. Er liebte ihr melo- disches Lachen, das er auf Greenmont so gut wie nie gehört hatte. Man merkte ihr an, daß sie auf Royal Elms sehr viel glücklicher war.
Sie hielt sich auch gerader, trug den Kopf höher und wirkte viel entspannter. Dadurch bewegte sie sich mit einer natürlichen Grazie, die sie in Basils Gegenwart nie gezeigt hatte.
Morgan spürte, wie sein Körper sich regte. Anstatt abzuklin- gen, war die physische Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, noch stärker geworden, seit er sie nach Royal Elms gebracht hatte. Er verlangte so sehr danach, mit ihr zu schlafen, daß es ihm vorkam, als würde er seit Tagen in einem pausenlosen Zustand körperlicher Erregung herumlaufen.
Was war nur los mit ihm? Sie gehörte nicht zu dem Frauentyp, den er bevorzugte – ganz und gar nicht! Was, zum Teufel, hatte diese Frau an sich, daß er sie dermaßen begehrte?
Erst als Daniela in dem Zimmer verschwunden war, drehte er sich um und folgte seinem Bruder, der im Türrahmen stand und ihn nachdenklich beobachtete. „Ist was?“
Jerome sah ihn durchdringend an. „Glaubst du die Klatsch- geschichten über Danielas angebliche Leichtfertigkeit?“
Die Frage traf Morgan völlig unvorbereitet. Er mußte an Da- nielas Panik denken, als er versucht hatte, mit ihr zu schlafen. Selbst bei ihrem Idol Gentleman Jack hatte sie sich davor ge- fürchtet. Ihr Verhalten war mit ihrem Ruf einfach nicht unter einen Hut zu bringen. Doch ihr Geständnis, sich Rigsby hingege- ben zu haben, hatte Morgan so zornig gemacht und seinen Stolz
derartig angeschlagen, daß er für alle anderen Anzeichen blind gewesen war. Eine schamlose Frau würde sich nicht verhalten, wie Daniela es tat.
Und plötzlich war Morgan in der Lage, aus tiefster Überzeu- gung zu sagen: „Nein, ich glaube nichts davon.“
„Ich auch nicht“, bestätigte Jerome. „Sie hat weder das Benehmen noch den Charakter einer Kokotte.“
Morgan nickte. „Du hast recht.“
„Ich vermute, daß das, was zwischen Rigsby und ihr vorgefal- len ist, bei weitem übler war, als er behauptet.“
Unbewußt ballte Morgan die Fäuste. Wenn das stimmte, würde er dem Bastard das Lebenslicht ausblasen!
„Aber ich habe dich nicht hereingerufen, um mit dir über Da- niela zu sprechen“, wechselte Jerome das Thema. „Vor einer hal- ben Stunde erhielt ich Antwort vom König. Es geht um unsere Petition.“
„Empfängt er uns?“ fragte Morgan gespannt.
„Mich ja, aber dich nicht.“
„Wie soll ich meinen Fall vorbringen ...“
„Ganz offensichtlich will er eben das verhindern. Ich werde es an deiner Stelle tun müssen.“ Jerome seufzte. „Ich reite morgen nach London. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, aber besonders optimistisch bin ich nicht.“
Das war Morgan auch nicht. Tiefe Enttäuschung legte sich wie ein Stein auf seine Brust. Was sollte er tun, wenn der König ihm den Freibrief für seine Modellkommune verweigerte? Dann wäre sein Traum für immer dahin.
Am folgenden Tag stand Morgan am Fenster seines Refugiums und beobachtete Daniela, die unten auf dem Rasen mit dem kleinen Stephen spielte. Obwohl der Junge gerade in einem Al- ter war, in dem er stark fremdelte, hatte er zu Daniela sofort Zutrauen gefaßt.
Während Daniela und das Kind ausgelassen miteinander her- umtollten, überlegte Morgan, was für eine wunderbare Mutter Daniela sein könnte.
Als
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