Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
hatte.
Aber ihr war eigenartig zumute. An manchen Tagen kam das Gefühl des dejä vu so fühlbar wie ein Stich wieder, so daß jedes einzelne Ereignis des Tages den Eindruck erweckte, es sei schon einmal geschehen. Das war eine Empfindung, die um so unangenehmer wurde, je länger sie anhielt, bis die Welt zu einem akuten schrecklichen Kerker wurde und sie nur noch eine Kreatur des Schicksals war - ein Uhrwerk, unfähig, etwas zu tun, das sie in einer vergessenen Vergangenheit schon einmal gemacht hatte. Einmal, als das fast eine Woche andauerte, war sie davon fast gelähmt. Sie hatte den Sinn des Lebens noch nie so sehr in Frage gestellt. Michel war deswegen recht besorgt und versicherte ihr, daß es sich wahrscheinlich um die mentale Manifestation eines physischen Problems handelte. Das glaubte Maya irgendwie, half praktisch aber wenig, da nichts, was er verordnete, ihr dazu verhalf, dieses Gefühl zu lindern. Sie konnte nur durchhalten und darauf hoffen, daß die Erregung vergehen würde.
Wenn es vorbei war, tat sie ihr Bestes, um diese Erfahrung zu vergessen. Wenn sie aber wieder kam, sagte sie zu Michel: »O mein Gott, ich fühle es wieder.« Und er sagte dann: »Ist das nicht schon früher passiert?« Sie lachten beide, und sie gab sich große Mühe. Sie versenkte sich in die Details ihrer laufenden Arbeit, machte Pläne für die Teams der Wassersucher und gab ihnen ihre Anweisungen auf Grund der Meldungen von Areographen am Rande und der eingehenden Resultate anderer Suchtrupps. Das war eine interessante und sogar aufregende Arbeit, eine Art gigantischer Schatzsuche, die eine ständige Fortbildung in Areographie erforderte, in die geheimen Verhaltensweisen von Wasser unter der Oberfläche des Mars. Diese intensive Beschäftigung half schon ziemlich beim dejä vu; und nach einiger Zeit wurde es nur eine von vielen eigenartigen Regungen, die ihr der Geist bescherte. Schlimmer als die Aufheiterungen, aber besser als die Depressionen oder die gelegentlichen Momente, wenn sie, anstatt zu fühlen, daß etwas schon vorher passiert war, durch die Empfindung getroffen wurde, daß etwas Derartiges noch nie geschehen wäre, auch wenn sie etwas so Triviales tat wie das Besteigen einer Straßenbahn. Michel nannte das mit besorgter Miene jamais vu. Offenbar sehr gefährlich. Aber man konnte nichts dagegen tun. Manchmal war es nicht gerade hilfreich, mit jemandem zu leben, der in psychologischen Fragen ausgebildet war. Man könnte leicht nur noch zu einem interessanten Studienobjekt werden. Sie würde einige Pseudonyme brauchen, um sich zu beschreiben.
Auf jeden Fall, an den Tagen, da sie sich glücklich und wohl fühlte, arbeitete sie völlig hingegeben und hörte irgendwann zwischen vier und sieben müde und befriedigt auf. Sie ging heim in dem charakteristischen Licht des späten Tages in Odessa. Die ganze Stadt lag im Schatten von Hellespontus, der Himmel war deshalb hell und bunt, und die Wolken waren leuchtend bestrahlt, wenn sie über das Eis nach Osten zogen und alles darunter im reflektierten Licht schimmerte, in jener unendlichen Farbskala zwischen Blau und Rot, jeden Tag und jede Stunde verschieden.
Maya schlenderte lässig unter den belaubten Bäumen im Park und durch das verschlossene Tor in das Praxisgebäude, dann hinauf ins Apartment, um mit Michel zu Abend zu essen, der gewöhnlich einen langen Tag hinter sich hatte, an dem er heimwehkranke, neu von der Erde Angekommene oder Oldtimer mit mannigfachen Beschwerden wie Mayas dejä vu oder Spencers Bewußtseinsspaltung behandelte: Erinnerungsverlust, Anomie, Phantomgerüche und dergleichen - seltsame gerontologische Probleme, die sich bei kürzer lebenden Menschen selten eingestellt hatten und bedrohlich warnten, daß die Behandlungen das Gehirn nicht so voll erfaßten, wie sie sollten.
Es kamen immer nur sehr wenige Nisei oder Yonsei, ihn zu konsultieren, was ihn überraschte. »Ohne Zweifel ist das ein gutes Zeichen für die langfristigen Aussichten der Besiedlung des Mars«, sagte er eines Abends, als er von einem ruhigen Tag aus seinem Büro im Erdgeschoß heraufkam.
Maya zuckte die Achseln. »Sie könnten verrückt sein, ohne es zu wissen. Ich hatte einen so ähnlichen Eindruck, als ich um das Becken gereist bin.«
Michel sah sie prüfend an. »Meinst du verrückt oder bloß anders?«
»Ich weiß nicht. Sie scheinen sich bloß nicht dessen bewußt zu sein, was sie tun.«
»Jede Generation ist ihre eigene geheime Gesellschaft. Und diese Leute sind
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