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Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Titel: Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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schmalsten Stelle fünfunddreißig Kilometer breit war und noch niemand Zeit und Gerät aufgebracht hatte, eine Hängebrücke darüber zu bauen. Statt dessen waren mehrere Pylonen durch das Eis gerammt und im Gestein darunter verankert worden. Diese Pfeiler hatten stromaufwärts Eisbrecher; und an der anderen Seite war eine Art Pontonbrücke befestigt, die über das fließende Eis des Gletschers glitt mittels glatter Unterlagen, die sich ausdehnten oder zusammenzogen, um Senkungen und Hebungen im Eis zu kompensieren.
    Der Zug wurde langsamer, um über diesen Ponton zu fahren. Als sie darüberfuhren, blickte Maya stromaufwärts. Sie konnte erkennen, wo der Gletscher aus der Lücke zwischen zwei krallenartigen Berggipfeln kam, ganz nahe beim Niesten-Krater. Rebellen, die man nie identifizieren hatte können, hatten das Wasserreservoir von Nielsen mit einer thermonuklearen Explosion aufgebrochen und einen der fünf oder sechs größten Ausbrüche von '61 ausgelöst, fast so groß wie derjenige, welcher die Marineris-Canyons heimgesucht hatte. Das Eis darunter war immer noch etwas radioaktiv. Aber es lag unter der Brücke still und gefroren da. Die Nachwirkung jener schrecklichen Flut war nur ein erstaunlich zerbrochenes Feld von Eisblöcken. Neben Maya sagte Diana etwas über Kletterer, die gern zum Spaß die Eisfälle des Gletschers emporstiegen. Maya erschauerte vor Entsetzen. Die Menschen waren so verrückt. Sie dachte an Frank, der von der Marinerisflut hinweggerissen worden war, und fluchte laut.
    »Das gefällt dir nicht?« fragte Diana.
    Sie fluchte wieder.
    Eine isolierte Rohrleitung führte auf der Mittellinie des Eises unter dem Ponton durch und nach unten auf Low Point zu. Sie waren immer noch dabei, den Boden des gebrochenen Reservoirs trockenzulegen. Maya hatte den Bau von Low Point beaufsichtigt. Sie hatte dort viele Jahre gelebt, mit einem Ingenieur, an dessen Namen sie sich jetzt nicht erinnern konnte. Und jetzt pumpten sie hoch, was am Boden des Niestenreservoirs übrig geblieben war, um es dem Wasser über jener versunkenen Stadt zuzufügen. Der große Ausbruch von '61 war jetzt auf die Wassermenge einer kleinen Pipeline reduziert worden, kanalisiert und reguliert.
    Maya fühlte in sich den turbulenten Mahlstrom von Emotionen aufgerührt durch alles, was sie auf ihrer Rundreise gesehen hatte, und durch alles, was geschehen war und noch geschehen würde ... Ah, die Fluten in ihr, die Stoßwellen in ihrem Gemüt! Wenn sie bloß ihren Geist ebenso einzäumen könnte wie die es mit diesem Wasserlager getan hatten - es trockenlegen, kontrollieren, besänftigen! Aber die hydrostatischen Drücke waren so stark und die Ausbrüche, wenn sie kamen, so wild. Keine Pipeline konnte das verkraften.
     

» D ie Dinge verändern sich«, sagte sie zu Michel und Spencer. »Ich glaube, daß wir die Dinge nicht mehr verstehen.«
    Sie richtete sich wieder in ihrem Leben in Odessa ein, froh, zurück zu sein, aber auch verwirrt und wißbegierig sah sie alles neu. An der Wand über ihrem Tisch im Büro hatte sie eine Zeichnung Spencers von einem Alchemisten, der einen großen Band in eine turbulente See schleuderte. Unten hatte er geschrieben: »Ich werde mein Buch ertränken.«
    Sie verließ jeden Morgen früh ihr Apartment und ging die Corniche hinunter zum Büro von Deep Waters nahe der trockenen Uferfront, neben einer anderen Firma von Praxis namens Separation de l'Atmosphere. Dort arbeitete sie tagsüber in der Leitung des Synthese-Teams. Sie koordinierte die Feldeinheiten und konzentrierte sich jetzt auf die kleinen mobilen Operationen, die sich um den Boden des Beckens bewegten und in letzter Minute Minerale schürften und das Eis wieder herrichteten. Gelegentlich arbeitete sie am Entwurf dieser kleinen unterwegs befindlichen Weiler und genoß die Rückkehr zur Ergonomie, ihrer ältesten Disziplin außer der Kosmonautik. Eines Tages, als sie am Austausch von Raumabteilen arbeitete, blickte sie auf ihre Skizzen und fühlte einen Ansturm von deja vu. Sie überlegte, ob sie genau diese Arbeit schon früher einmal gemacht hätte, irgendwann in der verlorenen Vergangenheit. Sie fragte sich auch, warum diese Fertigkeiten in der Erinnerung so festsaßen, während Wissen so vergänglich war. Sie konnte sich um keinen Preis an die Ausbildung erinnern, die ihr diese ergonomische Erfahrung vermittelt hatte; aber dennoch besaß sie sie trotz den vielen Dekaden, die vergangen waren, seit sie diese zum letzten Mal angewandt

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