Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
fühlte sich leer, zu Tränen gerührt und erleichtert. Vorerst freigesprochen.
Sie ging also entschlossen wieder an die Arbeit, traf sich fast jede Woche mit Gruppen und machte gelegentliche Ausflüge außerhalb des Netzes nach Elysium und Tharsis, um zu Zellen in den hohen Städten zu sprechen. Cojote kümmerte sich um ihre Reisen und flog sie nächtlicherweise über den Planeten, was sie an einundsechzig erinnerte. Michel kümmerte sich um ihre Sicherheit und beschützte sie mit Hilfe eines Teams von Eingeborenen einschließlich etlicher Ektogener von Zygote, die sie von einem sicheren Haus zum anderen schafften in jeder Stadt, die sie besuchten. Und sie redete und redete und redete. Es kam nicht nur darauf an, sie zum Warten anzuhalten, sondern auch sie zu koordinieren und zu zwingen zuzugeben, daß sie auf der gleichen Seite standen. Manchmal schien es, als ob sie Wirkung erzielte. Das konnte sie an den Gesichtern der Leute sehen, die kamen, um sie zu hören. Bei anderen Gelegenheiten galt ihr ganzes Bemühen, den radikalen Elementen Zügel anzulegen. Es gab jetzt viele davon, und es wurden täglich mehr: Ann und die Roten, Kaseis MarsErst-Leute, die Bogdanovisten unter Mikhail, Jackies >Booner<, die arabischen Radikalen unter Führung von Antar, der einer von vielen Liebhabern Jackies war, Cojote, Harmakhis, Rachel... Es war, als versuche sie, eine Lawine aufzuhalten, in der sie selbst gefangen war und nach Klumpen griff, während sie mit ihnen hinabrollte. In einer solchen Situation begann das Verschwinden von Hiroko immer mehr und mehr als Verhängnis aufzuragen.
Die Anfälle von deja vu kamen stärker denn je wieder. Sie hatte schon früher in einer solchen Zeit in Burroughs gelebt. Vielleicht war das alles. Aber das Gefühl war so verwirrend, wenn es auftrat, diese tiefe, unerschütterliche Überzeugung, daß alles vorher schon genau passiert wäre, so unausweichlich, als ob es eine ewige Wiederkehr gäbe ... So wachte sie dann auf und ging ins Bad; und ganz gewiß war all dies schon früher geschehen, einschließlich der ganzen Steifheit und kleinen Schmerzen. Dann ging sie hinaus, traf Nirgal und einige seiner Freunde und erkannte, daß es ein echter Anfall war und nicht bloß eine Koinzidenz. Alles war schon einmal so passiert. Alles war wie ein Uhrwerk. Schicksalsschläge. Nun gut, sie würde nachdenken und es ignorieren. Das ist also Realität. Wir sind Kreaturen des Schicksals. Mindestens weiß man nicht, was als Nächstes geschehen wird.
Sie redete endlos mit Nirgal, darum bemüht, ihn zu verstehen und selbst von ihm verstanden zu werden. Sie lernte von ihm, ahmte ihn jetzt bei Versammlungen nach - sein strahlendes, freundliches und ruhiges Vertrauen, das die Menschen so zu ihm hinzog. Sie waren beide berühmt, man sprach über sie beide in den Nachrichten, sie beide waren bei der UNTA auf der Liste der meistgesuchten Personen. Sie durften sich beide nicht auf der Straße sehen lassen. Also hatten sie eine Bindung; und sie lernte von ihm alles, was sie konnte, und glaubte, daß er auch von ihr lernen würde. Jedenfalls hatte sie Einfluß. Es war eine gute Beziehung, ihre beste Verbindung zu den Jungen. Er machte sie glücklich und gab ihr Hoffnung.
Daß das alles aber im erbarmungslosen Griff eines übermächtigen Schicksals geschehen mußte! Das Wiederzusehen-Glauben, das Schon-einmal-Gewesen war laut Michel nur eine chemische Erscheinung des Gehirns, eine neurale Verzögerung oder Wiederholung, eine neurale Schleife, die den Eindruck vermittelte, daß die Gegenwart auch eine Art von Vergangenheit wäre. Vielleicht war es das. Also akzeptierte sie diese Diagnose und nahm ohne Klage und ohne Hoffnung alles ein, was er ihr verschrieb. Jeden Morgen und jeden Abend öffnete sie die Tasche in dem Behälterstreifen, den er jede Woche für sie herrichtete, und nahm alle Art von Pillen, die darin waren, ohne Fragen zu stellen. Sie schlug nicht mehr auf ihn ein. Sie fühlte sich nicht mehr dazu gedrängt. Vielleicht hatte er endlich den richtigen medizinischen Cocktail für sie gemixt. Das hoffte sie. Sie ging mit Nirgal aus zu Versammlungen und kam erschöpft wieder nachHause in das Apartment unter dem Tanzstudio. Aber oft fand sie dann keinen Schlaf. Ihre Gesundheit verschlechterte sich. Sie war oft krank. Verdaungsbeschwerden, Ischias, Brustschmerzen... Ursula empfahl ihr eine Wiederholung der gerontologischen Behandlung. Das hilft immer, sagte sie. Und mit den neuesten genomischen Scan-Verfahren
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