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Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Titel: Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Umweltkontrollindustrien. Und leider sieht es so aus, als ob das Baumsterben für sie eine Menge anderer Probleme lösen wird.«
    Sax konzentrierte sich auf den Teil der Moräne, den sie emporstiegen. Hier hatte Solifluktion, das tägliche Schmelzen von Grundeis auf einer Neigung, bewirkt, daß das lockere Regolith in einer Reihe von Vertiefungen und Rinnen nach unten gerutscht war; und obwohl alles grau und leblos aussah, verriet ein leichtes Muster wie winzige Kacheln, daß es tatsächlich mit blaugrauen Flockenflechten bedeckt war. In den Vertiefungen gab es Klumpen von etwas, das wie graue Asche aussah. Sax blieb stehen, um eine kleine Probe zu pflücken. »Schau!« sagte er brüsk zu Phyllis, »Schneelebermoos.«
    »Es sieht aus wie Schmutz.«
    »Das kommt, weil ein parasitärer Schwamm darauf wächst. Die Pflanze ist eigentlich grün. Siehst du diese kleinen Blätter? Das ist ein neues Wachstum, das der Pilz noch nicht bedeckt hat.« Unter Vergrößerung sahen die neuen Blätter aus wie grünes Glas.
    Aber Phyllis machte sich nicht die Mühe hinzuschauen. Sie fragte: »Wer hat das konstruiert?« Der Ton ihrer Stimme klang so, als ob der Planer schlechten Geschmack bewiesen hätte.
    »Ich weiß nicht. Könnte niemand gewesen sein. Eine ganze Anzahl der Spezies hier draußen sind nicht konstruiert worden.«
    »Kann Evolution so schnell arbeiten?«
    »Nun, du weißt ja, es ist polyploidale Entwicklung.«
    »Kenne ich nicht.«
    Phyllis ging weiter, nicht sonderlich interessiert an dem kleinen grauen Exemplar. Schneeleberwurz. Wahrscheinlich sehr wenig behandelt oder sogar überhaupt nicht konstruiert. Testexemplare, die hier unter den anderen ausgesetzt waren, um zu sehen, wie es ihnen ergehen würde. Und nach Meinung von Sax somit sehr interessant.
    Aber irgendwo auf der Strecke hatte Phyllis das Interesse verloren. Sie war einmal eine erstklassige Biologin gewesen, und Sax fand es hart, sich den Verlust an Neugier vorzustellen, der an der Wurzel der Wissenschaft liegt und die einen drängt, die Dinge zu verstehen. Aber sie wurden alt. Im Verlauf ihres unnatürlichen Lebens lag es nahe, daß sie alle sich verändern würden, vielleicht sogar grundlegend. Sax gefiel dieser Gedanke nicht, aber er war da. Wie alle anderen neuen Hundertjährigen hatte er immer mehr Schwierigkeiten, sich an Einzelheiten seiner Vergangenheit zu erinnern, besonders in den mittleren Jahren, an Dinge, die sich vor dem Alter von rund fünfzig ereignet hatten. So verblaßten für ihn die Jahre vor '61 und seine meisten Jahre auf der Erde. Und ohne voll funktionierende Erinnerungen würde man sich gewiß verändern.
     
    Als sie zur Station zurückkehrten, ging er verwirrt ins Labor. Er dachte, vielleicht wären sie polyploidal geworden, nicht als Individuen, sondern kulturell - eine internationale Anordnung, die hier auftrat und dieselben Fasern effektiv vervierfachte und so die Anpassungsfähigkeit lieferte, in diesem fremdartigen Terrain trotz aller durch Stress bewirkten Mutationen zu überleben ...
    Aber nein. Das war eher eine Analogie als eine Homologie. Was man in den Geisteswissenschaften ein heroisches Gleichnis oder eine Metapher nannte, falls er den Fachausdruck richtig verstand, oder eine andere Art literarischer Analogie. Und Analogien waren meistens bedeutungslos, eher eine Sache des Phänotyps als des Genotyps (um eine andere Analogie zu benutzen). Das meiste in Poesie und Literatur, tatsächlich alle Geisteswissenschaften, von den Sozialwissenschaften ganz zu schweigen, waren, soweit Sax das sehen konnte, phänotypisch. Sie gesellten sich zu einem riesigen Kompendium bedeutungsloser Analogien, die nicht halfen, Dinge zu erklären, sondern nur eine verzerrte Vorstellung von ihnen förderten. Man könnte sagen, eine ständige konzeptuelle Betrunkenheit. Sax selbst bevorzugte sehr Exaktheit und begriffliche Kraft - und warum nicht? Wenn draußen 200 Kelvin herrschten, warum sollte man das nicht so sagen, anstatt über die Titten von Hexen und dergleichen zu reden und das ganze große Gepäck der unwissenden Vergangenheit herbeizuholen, um jede Begegnung mit sensorischer Realität zu verdunkeln? Das war absurd.
    Also okay, es gab keine kulturelle Polyploidie. Es gab nur eine bestimmte historische Situation, die Konsequenz von allem, was vorhergegangen war - getroffene Entscheidungen, deren Resultate sich völlig ungeordnet über den Planeten verbreiteten und sich planlos entwickelten, wenn man so sagen konnte. Planlos. In dieser

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