Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
nichts. Ihm fiel wirklich nichts über den ganzen Rest jener Nacht ein. Er schloß wie Zeyk die Augen und preßte die Lider zu, als ob das ein anderes Bild heraus quetschen könnte. Aber nichts kam. Das Gedächtnis war so merkwürdig. Er erinnerte sich an kritische traumatische Momente, wenn diese Erkenntnisse sich in ihn eingebohrt hatten. Der Rest war verschwunden. Sicher mußten das limbische System und die emotionale Belastung jedes Vorfalls entscheidend in der Befrachtung oder Encodierung oder Einbettung einer Erinnerung beteiligt sein.
Aber dann wiederum Zeyk, der langsam jede Person nannte, die er in dem Warteraum der Klinik gekannt hatte, obwohl dieser dicht gefüllt gewesen sein mußte. Dann beschrieb er das Gesicht der Ärztin, die herausgekommen war, um ihnen Boones Tod zu melden. »Sie sagte: >Er ist tot. Zu lange draußen gewesene Maya legte Frank eine Hand auf die Schulter, und er zuckte zusammen.«
Nazik flüsterte: »Wir müssen es Maya sagen.«
»Er sagte zu ihr: >Es tut mir leid<, was ich seltsam fand. Sie sagte daraufhin zu ihm, daß er ja John ohnehin nie gemocht hätte, was richtig war. Und Frank stimmte sogar zu, ging dann aber fort. Er sagte: >Was weißt du denn davon, was ich mag oder nicht mag?< So bitter. Ihm gefiel diese Mutmaßung nicht, der Gedanke, daß sie ihn kannte.« Zeyk schüttelte den Kopf.
»War ich während dieser Zeit dort?« fragte Sax.
»...Ja. Du hast auf der anderen Seite von Maya gesessen. Aber du warst abgelenkt. Du hast geweint.«
Sax fiel davon absolut nichts mehr ein. Plötzlich erinnerte er sich, daß ebenso, wie es viele Dinge gab, die er getan hatte und von denen niemals jemand etwas wissen würde, es auch Dinge gab, die er getan hatte und an die sich andere erinnerten, während er selbst sich nicht darauf besinnen konnte. So wenig wußten sie! So wenig!
Zeyk fuhr fort über den Rest jener Nacht und den nächsten Morgen zu berichten. Das Erscheinen von Selim und dessen Tod. Dann vom darauffolgenden Tag, als Zeyk und Nazik Nicosia verlassen hatten. Und auch noch vom Tag danach. Ursula sagte, daß er mit dieser Menge an Details über jede Woche seines Lebens fortfahren könnte.
Aber nun brach Nazik die Sitzung ab. Sie sagte zu Smadar: »Genug für heute. Laß uns morgen weitermachen!«
Smadar stimmte zu und tippte etwas auf der Konsole der Maschine neben sich. Zeyk starrte wie ein heimgesuchter Mann an die dunkle Zimmerdecke; und Sax sah, daß man zu den vielen Fehlfunktionen des Gedächtnisses auch solche Erinnerungen zählen mußte, die zu gut liefen. Aber wie? Welcher Mechanismus bewirkte das? Da war das Bild von Zeyks Gehirn, das in einem anderen Medium die Muster von Quantenaktivität wiedergab wie Blitze, die in seinem Cortex umherflimmerten... einem Gehirn, das die Vergangenheit viel besser festhielt als die übrigen Alten und unzugänglich war gegen Erinnerungsverluste, die Sax für einen unausweichlichen zeitbedingten Zusammenbruch gehalten hatte... Nun, sie unterzogen dieses Gehirn jedem erdenklichen Test. Aber es war durchaus möglich, daß das Geheimnis ungelöst blieb. Es passierte einfach zu viel, das ihnen völlig entging. Wie in jener Nacht in Nicosia.
Sax zog sich erschüttert einen warmen Pullover an und ging nach draußen. Das Land um Acheron hatte ihm willkommene Unterbrechungen seiner Laborzeit geliefert, und er freute sich jetzt sehr, es zu durchstreifen, einfach um wegzukommen.
Er wandte sich nach Norden auf die See zu. Einige der besten Gedanken über das Gedächtnis waren ihm gekommen, während er zu dieser Küste hinunterging, über so verschlungene Wege, daß er niemals denselben zweimal erwischte, teils weil das alte Lavaplateau durch Gräben und steile Böschungen so zerklüftet war, und teils weil er nie auf die größere Topographie achtete. Er war entweder in seinen Gedanken versunken oder von der Landschaft gefesselt und schaute sich nur ab und zu um, damit er wußte, wo er sich befand. Es war tatsächlich eine Region, in der man sich nicht verirren konnte. Man stieg auf eine kleine Anhöhe, und dort stand der Acheron-Sporn wie der Kamm eines ungeheuren Drachens. Und in der anderen Richtung, von um so mehr Stellen aus zu sehen, je näher man kam, lag die blaue Weite der AcheronBucht. Dazwischen gab es eine Million von Mikromilieus. Das steinige Plateau war gesprenkelt von versteckten Oasen, und jede Spalte war voller Pflanzen. Das war keineswegs der Schmelzlandschaft an der polaren Küste auf der anderen Seite des Meeres
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